Listen




Banner, 120 x 600, mit Claim


Buch: Tove Ditlevsen - Gesichter (Buchclub-Wahl #28)

User Beitrag

myx

Postings: 5598

Registriert seit 16.10.2016

31.03.2025 - 21:25 Uhr
Und hier noch der Thread zu unserem Buchclub-Buch für diesen April/Mai.

Start der Diskussion dann gerne ab 31. Mai.

Info zu "Gesichter" von bücher.de, vielleicht machen noch weitere Interessierte bei der Lektüre mit:

Von der gefeierten Autorin der Kopenhagener-Trilogie – ein eindringlicher Roman über eine Frau am Abgrund, geschrieben mit der Lebendigkeit und Direktheit gelebter Erfahrung.

Kopenhagen, 1968: Lise Mundus, Autorin und Mutter dreier Kinder, entgleitet ihr Alltag. Sie meint, Stimmen zu hören und Gesichter zu sehen. Sie ist überzeugt, dass ihr Mann sie betrügt und verlassen wird. Vor allem aber hat sie Angst, dass sie nie wieder schreiben wird. Als sie in die Klinik geht und sich behandeln lässt, fragt sie sich, ob der Wahnsinn wirklich etwas ist, wovor sie sich fürchten muss – oder ob er nicht auch eine Form von Freiheit für sie bereithält. In »Gesichter« macht Tove Ditlevsen die Verschiebungen in der Wahrnehmung einer Frau mit literarischen Mitteln meisterhaft erfahrbar.

Old Nobody

User und News-Scout

Postings: 4060

Registriert seit 14.03.2017

30.05.2025 - 23:34 Uhr
Puuuh

man fragt sich ja,was man da grade bitte gelesen hat,das war eine intensive Erfahrung,die phasenweise bis an die Grenze der eigenen psychischen Belastbarkeit ging. Und das meine ich auf jeden Fall als Kompliment.

Bedrückend,beklemmend,verstörend,gradezu ein Albtraum

Ich kann mich als jemand,der sich oft Gedanken über die Wirkung auf andere macht,was manchmal echt unangenehme Züge annimmt,ein bisschen in Lise und ihre paranoiden Züge,zumindest in der Wohnung, hineinversetzen und es nachvollziehen. Wie das aber sein muss,Stimmen zu hören,die Wirklichkeit nicht mehr von der Imagination unterscheiden zu können,stelle ich mir sehr schlimm vor. Wurde ja auch gut in dem Film Das weisse Rauschen dargestellt von Daniel Brühl,muss man gesehen haben.Und auch dieses Buch erzählt die Geschichte auf eine eindringliche Weise,die unter die Haut und an die Nieren geht.

Ich fühle mich von der Intensität und der Stimmung sehr an Die Glasglocke erinnert.


Mich hat auch sehr beeindruckt,auf wie viele verschiedene Arten hier Gesichter beschrieben werden,was man in ihnen alles sehen kann,was sie über den Menschen erzählen können.Verschiedene Absätze musste ich nochmal lesen,auch um ansatzweise die Größe des Geschriebenen erfassen zu können,ich musste auch immer wieder kurz innehalten.Das Buch braucht definitiv die volle Aufmerksamkeit,sonst kann man etwas wichtiges,was in einem Halbsatz gesagt wird,schnell verpassen oder vergessen. Ich bin auch nicht sicher,ob ich am Schluss alles erfasst habe.


Ich muss als einziges Manko sagen, dass mir der Schluss etwas zu versöhnlich war und er kam irgendwo auch zu plötzlich. Ich habe nicht wirklich verstanden,was Lise jetzt eigentlich genau geholfen hat. Mir kommt auch die Dauer (also die echte,nicht der Umfang im Buch) des Klinikaufenthalts angesichts der schizophrenen Züge und der Schwere der Symptome,sehr kurz vor. Ich schließe aber nicht aus, dass ich bzgl der Heilung etwas nicht mitbekommen habe. 

Insgesamt bin ich schwer begeistert,das war schwer verdauliche Kost,was ich mag,großartig erzählt.Da sind echt einige Passagen/Zeilen für die Ewigkeit dabei gewesen


9-9,5/10

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 20234

Registriert seit 10.09.2013

02.06.2025 - 19:57 Uhr
Ich hab das auch gelesen, bin nur zu faul, viel dazu zu schreiben. :D Würde mich dir weitgehend anschließen, auch wenn es mich nicht ganz so extrem beeindruckt hat, da hab ich "The bell jar" schon noch ein Stück intensiver empfunden. In Zahlen so im 8er-Bereich.

Das Ende fand ich aber gar nicht soo versöhnlich, wie Gert ihrer Frage ausweicht und ihre Schreibankündigung ohne Resonanz verhallt, war schon niederschmetternd.

myx

Postings: 5598

Registriert seit 16.10.2016

02.06.2025 - 20:49 Uhr
Meine Einschätzung kommt. Stehe auf Seite 90 und nehme morgen die Lektüre wieder auf.

Deaf

Postings: 3245

Registriert seit 14.06.2013

03.06.2025 - 18:10 Uhr
Gestern endlich damit begonnen, die Bewertung von Old Nobody lässt schon mal Grosses erhoffen.

myx

Postings: 5598

Registriert seit 16.10.2016

05.06.2025 - 19:06 Uhr
Habe die Lektüre mittlerweile beendet und finde den Roman, mit wirklich nur kleinen Abstrichen, ebenfalls sehr gut. Intensive und auch aufwühlende Geschichte bis zum Schluss. Habe mir einige Notizen gemacht, die ich noch etwas ausformulieren und zeitnah posten möchte.

myx

Postings: 5598

Registriert seit 16.10.2016

10.06.2025 - 11:39 Uhr
Hier meine Notizen:

Aus literarischer Sicht sind mir vor allem die vielen Metaphern aufgefallen. Die meisten dieser bildlichen Umschreibungen haben mir sehr gut gefallen, es gab aber auch ein paar wenige, die mich nicht überzeugen konnten, bei denen es arg knirschte im Gebälk. Ist aber natürlich einerseits Geschmackssache und andererseits vielleicht auch eine Frage der Übersetzung. (Damit wäre mein kleiner Kritikpunkt am Roman bereits genannt.)

Es ist ja sehr interessant, wie stark sich Ditlevsen in diesem Roman für Gesichter interessiert. Sie will sie erkennen, deuten, hinter die Fassade blicken. Mir kam beim Lesen des Buches in den Sinn, dass das Wort Person eigentlich von (Theater-)Maske abgeleitet ist. Und dass wir alle bspw. in eine öffentliche und in eine private Person zu unterscheiden sind. Man denke nur daran, wie wir alle mehr oder weniger Zeit dafür aufwenden, uns zurechtzumachen, bevor wir das Haus verlassen, wie wir uns also quasi in eine öffentliche Maskerade kleiden. Damit hat Ditlevsen in "Gesichter" den Fokus wirklich auf ein spannendes, für unser Menschsein bedeutsames Thema gelegt. Das Nachwort habe ich noch nicht gelesen, aber ich habe kurz aufgeschnappt, dass es darin auch um Ditlevsens besonderes Interesse für Gesichter gehen soll, bin gespannt.

Ich habe ja oben schon kurz geschrieben, dass ich das Buch aufwühlend fand bis zum Schluss. Dies einerseits, weil Lise bereits ahnt, dass die Beziehung mit Gert wieder brüchig, wieder von Hass und Eifersucht geprägt sein wird, sobald sie sich erneut dem Schreiben widmet. Hier ging mir ein abgewandeltes Zitat von Adorno* durch den Kopf: "Geliebt wirst du einzig, wo du dich schwach für etwas zeigen darfst, ohne Eifersucht zu provozieren." Andererseits wühlt der Schluss auch auf wegen der Vermutung, die für Lise immer wieder im Raum steht: dass Gert nämlich eine Beziehung mit ihrer Tochter Hanne hatte. Und schlimmer noch, als diesen Übergriff einfach zu gestehen, ist die Ausflucht von Gert: "Die Wahrheit ist genauso störend wie ein eingerissener Nagel, Lise." Puh ...**

Genauso verhält es sich nämlich wohl für nicht wenige Menschen. Und vielleicht kann dieser Satz für das Buch als Ganzes, für die Hauptperson Lise, ja sogar für die Literatin Ditlevsen selber stehen: Sie sucht trotzdem nach der Wahrheit, nach den Gesichtern hinter den Gesichtern. Sie gibt sich nicht mit angelesener Halbbildung zufrieden und prahlt damit, wie Gitte, herum, sondern will hinter die Dinge sehen, will die Welt verstehen, wie es im Buch heisst. Und dass diese Wahrheitssuche schmerzen und sogar zu einem Klinikaufenthalt führen kann, ist in meinen Augen eines der Themen von "Gesichter". Denn eigentlich ist unsere zwischenmenschliche Welt viel weniger stabil und verlässlich, als wir es uns alle mit unseren Alltagsmasken vormachen wollen. – So schaut also in Kürze meine vielleicht etwas zu grobschlächtige Interpretation dieses Romans aus.

Insgesamt sehe das Buch im gleichen Bereich wie Marvin, also bei einer 8/10.

* "Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren." (aus "Minima Moralia").

** Und Gert dann weiter: "Hast du je einen Menschen gekannt, dem sie auch nur ansatzweise genutzt hat?"

Deaf

Postings: 3245

Registriert seit 14.06.2013

10.06.2025 - 11:51 Uhr
Ich bin jetzt auch durch, muss die Lektüre und Kommentare aber zuerst noch sacken lassen.

Mir kam beim Lesen des Buches in den Sinn, dass das Wort Person eigentlich von (Theater-)Maske abgeleitet ist. Und dass wir alle bspw. in eine öffentliche und in eine private Person zu unterscheiden sind.

Es scheint, dass Ditlevsen den relativ kurz zuvor erschienenen Film "Persona" (1966) von Ingmar Bergman gesehen hatte, die Stimmung hat mich bisweilen jedenfalls daran erinnert und dort gibt es ja auch diese berühmte Face-Swap-Szene.

myx

Postings: 5598

Registriert seit 16.10.2016

10.06.2025 - 12:37 Uhr
Danke für die Info, Deaf. Den Film habe ich noch nicht gesehen.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 20234

Registriert seit 10.09.2013

10.06.2025 - 12:39 Uhr
Oh, an den Film (10/10, übrigens) hab ich gar nicht gedacht, aber ergibt total Sinn!

myx

Postings: 5598

Registriert seit 16.10.2016

10.06.2025 - 13:26 Uhr
Ich schreib dann gerne auch noch etwas zu deinem ausführlicheren Statement, Old Nobody, hat vorhin zeitlich nicht mehr reingepasst.

Old Nobody

User und News-Scout

Postings: 4060

Registriert seit 14.03.2017

11.06.2025 - 10:42 Uhr
Auf die Verbindung zu Persona bin ich auch nicht gekommen,aber stimmt,da spielen Gesichter auch eine wichtige Rolle. Mein Nummer 1 Film der Ewigkeit.Lässt einiges an Interpretationsspielraum.


Schöner Beitrag @ myx
Das mit der Maskerade ist ein interessanter Punkt. Ich hab das sonst gerne bei Menschen als verschiedene Modi bezeichnet. Bei Treffen mit Person X ist der Mensch gerne mal in einem anderen Modus als bei Person Y. Fällt mir am häufigsten auf, wenn man etwa im familiären Umfeld sich aufhält und quasi unter sich ist.Und das vergleicht mit dem Modus,wenn man raus in die Öffentlichkeit geht. Maskerade kann man das dann schon auch nennen aber das hat sowas von sich verstellen. Ich glaube,dass das so eine Mischung ist aus sich verstellen,sich verkleiden,eine Schutzvorrichtung um nicht sein fragiles Inneres preiszugeben,um sich nicht angreifbar zu machen. Und eben aus "in einen andere Modus wechseln" aus einem Automatismus heraus,unbewusst. Vielleicht ist auch manchmal das eine und manchmal das andere. Spannend


Nochmal zum Schluss des Buches:
Anscheinend ist mir da was entgangen bzw hab ich das nicht so spürbar wahrgenommen wie ihr, dass der Schluss aufwühlt,er offen ist und das sich an der Beziehung letztlich nichts ändert und Lise wieder abrutschen wird,dass quasi wieder dieselben Konflikte entstehen werden wie zuvor. ich hatte das nur als Andeutung wahrgenommen. Aber nachdem ich Eure Beiträge dazu gesehen hab,wird das doch deutlich klarer.Grade was Gerts Aussage zum Thema Wahrheit angeht.


Versöhnlich fand ich aber eben, dass Lise so schnell "geheilt" war,ihre Symptome waren doch so schwerwiegend,dass sie eigentlich Monate in der Klinik hätte verbringen müssen. Das ging mir irgendwie zu plötzlich. Mich hätte auch interessiert,was ihr da jetzt so gut geholfen hat. Kann doch eigentlich nicht nur an einer Begegnung mit der reellen Gitte gelegen haben, dass die Stimmen plötzlich weg waren. Die ja dann,und das hat sich schon geändert, entlassen wurde.

Das ist aber nur ein marginaler Kritikpunkt im Vergleich zum großartigen Rest.

myx

Postings: 5598

Registriert seit 16.10.2016

11.06.2025 - 11:03 Uhr
Auch wieder interessant zu lesen, Old Nobody. Nur ganz kurz: Gebe dir recht, Modi passt ganz gut, Maskerade trägt zu sehr die Bedeutung von sich verstellen. Aber schön, dass dir diese Unterschiede im Auftreten ebenfalls geläufig sind. Gesichter sind wohl das wichtigste Vehikel zum sozialen Austausch neben unserer Sprache, würde ich sagen, da können wir sehr viel auch an Stimmung daraus ablesen. Dieses Lesen von Gesichtern beginnt m. W. schon früh im Kindesalter, noch bevor wir der gesprochenen Sprache mächtig sind. – Bisschen mehr von mir dann noch voraussichtlich heute Nachmittag.

myx

Postings: 5598

Registriert seit 16.10.2016

11.06.2025 - 15:35 Uhr
Noch je ein paar Worte zur Frage der schnellen Heilung und zum Vergleich des Romans mit der "Glasglocke": Ich glaube mich zu erinnern, dass die Besserung ab dem Moment eingesetzt hat, wo Lise einerseits die Stimmen als tatsächlich vorhanden akzeptiert hat (Annahme der Krankheit) und wo sie andererseits auch die Medikamente wirklich eingenommen hat (Getränk, Spritze), bin mir da aber nicht sicher. So oder so sind drei Wochen aber tatsächlich ein sehr kurzer Klinikaufenthalt für so eine schwere Psychose, da müssen die Antipsychotika ausgezeichnet angeschlagen haben.

Und den Vergleich zur "Glasglocke" sehe ich auch, bis in die sprachliche Ebene hinein (Plath hat auch zahlreiche Metaphern verwendet bspw.). Schätze den Roman der Amerikanerin allerdings auch als (etwas) stärker ein, habe ihn seinerzeit mit einer 8,5/10 bewertet. Eher etwas tief, ich weiss, viele sehen die "Glasglocke" bei mindestens einer 9/10.

Seite: 1
Zurück zur Übersicht

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Einmal am Tag per Mail benachrichtigt werden über neue Beiträge in diesem Thread

Um Nachrichten zu posten, musst Du Dich hier einloggen.

Du bist noch nicht registriert? Das kannst Du hier schnell erledigen. Oder noch einfacher:

Du kannst auch hier eine Nachricht erfassen und erhältst dann in einem weiteren Schritt direkt die Möglichkeit, Dich zu registrieren.
Benutzername:
Deine Nachricht:





Banner, 300 x 250, mit Claim