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Buch: John Banville - Die See (Buchclub-Wahl #12)

User Beitrag

Deaf

Postings: 2659

Registriert seit 14.06.2013

05.01.2022 - 22:13 Uhr
Ich bin durch, das Lesejahr 2022 ist somit lanciert. Das Buch ging mir sehr unter die Haut, soviel kann ich schon mal sagen.

Old Nobody

User und News-Scout

Postings: 3681

Registriert seit 14.03.2017

30.01.2022 - 21:43 Uhr
Beeindruckende Leseerfahrung.
Ging auch mir unter die Haut,war einige Male berührt und musste immer mal wieder innehalten. Die Gedanken fließen hier ganz so,wie sie es eben im wirklichen Leben tun. Man wird an was erinnert,man schweift ab,kommt von einen Punkt auf den nächsten und landet plötzlich ganz woanders und weiß überhaupt nicht wie man da jetzt hingekommen ist.Das ist hier wie ein sich treiben lassen wie auch die Wellen im Meer sich treiben lassen und einfach fließen.
Max lässt sich da ein ganzes Stück weit reinfallen in den Sog, den auch das Buch als ganzes so entwickelt. Das ist immer wieder etwas sprunghaft,man muss erstmal kurz überlegen wo man denn grade war aber das ist ja auch so,wenn man sich in Gedanken verliert während man vielleicht grade irgendwo im Wartezimmer sitzt oder so.Fand das erzählerisch ziemlich authentisch und auch die Sprünge genau nachvollziehbar.
Es fallen auch immer wieder ziemlich grandiose Sätze,die für sich nochmal eigene Gedankenanstöße sind wie zB die Vergangenheit als Refugium "wo ich die kalte Gegenwart und noch kältere Zukunft von mir werfe."
Find ich sehr spannend. Ist in seiner Formulierung nochmal was anderes als die schlichte Nostalgie. Man läuft ja eigentlich gerne vor der Vergangenheit weg,zumindest geht mir das öfter mal so.Also mehr eine Flucht VOR der Vergangenheit,die einen aber immer wieder einholt. Und Max hätte auch allen Grund vor seiner Vergangenheit wegzulaufen angesichts des Endes für Chloe. Dennoch nimmt er diese Vergangenheit anscheinend als wärmer war als die Gegenwart weil sie auch angenehme Erinnerungen beinhaltet. Aber auch da,wie auch in der Gegenwart, landet er schließlich beim Tod,was eine sehr traumatische Erfahrung gewesen sein muss.Was auch diese Leere in dem Moment erklärt,eine Art Gelähmtheitszustand. Eine Art emotionale Reaktion kommt dann vielleicht eben erst Jahrzehnte später als er sich vor Ort erinnert und dann abends sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt.

Ich muss sagen, ich mag dieses Buch sowohl für die Geschichte um den Tod der Frau als auch diesen Coming of age Teil,welcher als so etwas wie Trauerarbeit fungiert obwohl sich Max doch grade vor der Gegenwart drücken will. Wirklich toll geschrieben und nachvollziehbar erzählt. Kann mich für diese Empfehlung nur bedanken!

9/10

myx

Postings: 4660

Registriert seit 16.10.2016

30.01.2022 - 22:28 Uhr
Für mich auch ein ausgezeichnetes Buch, das beste unseres Buchclubs bisher (wenn ich Ocean Vuong mal ausklammere, den ich nicht erneut gelesen habe).

Sprachlich beeindruckend virtuos, eine Schule des exakten Wahrnehmens. Und wie Banville eine gottverlassene Welt schildert, die dem Leid gegenüber nur ein "Achselzucken" kennt, und gleichzeitig dagegen anschreibt, gegen diesen Sturz des Geschehenen/Erlebten in die Sprachlosigkeit und das Vergessen (so habe ich das insgesamt in etwa empfunden), finde ich ebenfalls grandios.

9/10 auch von mir.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

31.01.2022 - 12:57 Uhr
Ich fand dieses sehr komplexe Verhältnis, welches das Buch zur Nostalgie aufbaut, ebenfalls sehr faszinierend. Max flüchtet sich vor der schmerzvollen Realität in ein Vergangenheitsidyll, in dem er sich in der Gunst der auf die Erde gekommenen Götter wähnt, doch auch hier wartet am Ende das Trauma. Die Erinnerungen an die Graces und ihr Sommerhaus reiben sich mit der Wahrnehmung des erwachsenen Max und versetzen ihn in eine Art Limbo-Zustand, lassen ihn weder im Jetzt noch im vermeintlichen Kindheitsparadies Halt finden.

"Virtuos" ist das in der Tat, wie Banville seine drei Zeitlinien verwebt und das Buch mit unheimlich vielen Gedanken, Motiven und Sprachreflexionen auflädt. Manchmal übertreibt er es mit den Ausschweifungen ein wenig, was aber natürlich zur Perspektive von Max als Erzähler passt, der nun mal ein sprachbesessener, solipsistischer Narzisst ist. Trotzdem habe ich deswegen im Mittelteil ein paar Längen empfunden, die im letzten Drittel aber mehr als ausgeglichen wurden.

Literatur mit Zahlen zu bewerten, fällt mir immer schwer, aber hier würde für die Erfahrung wohl eine gute 8/10 am besten passen. Für die Spitze unseres Buchclubs reicht es bei mir nicht, da waren ein paar Werke dabei, die mich noch mehr beeindruckt (Vuong), mitgenommen (Ward) oder beides (Plath) haben.

myx

Postings: 4660

Registriert seit 16.10.2016

31.01.2022 - 14:19 Uhr
Vuong, Banville, Ward und Plath sind auch meine liebsten Buchclub-Bücher bisher.

Noch eine kleine Ergänzung: Max geht als Kunsthistoriker v. a. visuell sehr differenziert an die Wirklichkeit heran, finde ich, und beschreibt sie quasi mit zahlreichen feinen Pinselstrichen und selten zu lesenden Nuancen wie etwa "pflaumenblau" oder "ingwerfarben", um nur zwei Beispiele zu nennen. Das ist das, was ich mit "exaktem Wahrnehmen" (hauptsächlich Sehen, aber auch andere Sinneswege) gemeint habe.

Enrico Palazzo

Postings: 3903

Registriert seit 22.08.2019

31.01.2022 - 15:31 Uhr
Für mich war es mein zweiter Durchgang mit diesem Buch, im englischen Original. Das erste Mal habe ich The Sea wohl kurz nach Veröffentlichung gelesen.

Ich erinnere mich, dass ich damals noch berührter war als jetzt beim Re-Read, aber ich gebe The Sea immer noch eine 9/10. Ich finde den Stil von Banville einfach fantastisch, sehr schön zu lesen und sehr, sehr rund. Eines der weniger Bücher, bei denen ich das Gefühl habe, hier ist kein einziges Wort zu viel. Und zum Glück konnte ich mich an das Ende nicht mehr erinnern, so dass es mich nochmal auf dem falschen Fuß erwischt hat :)

Bisher ist dies definitiv mein Highlight im Buchclub gewesen. Und immer noch eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe. Vielleicht keine Top15 mehr bei mir, aber Top30 höchstwahrscheinlich schon.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

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Registriert seit 10.09.2013

31.01.2022 - 16:52 Uhr
Ich finde es auch interessant, dass Max von sich als "lyreless Orpheus" spricht. Er observiert Kunst nicht einfach nur, sondern ist selbst Künstler; er nimmt die Wirklichkeit des Romans nicht nur wahr, sondern erschafft sie überhaupt erst. Seine Kunst ist das Erzählen: der verschlungene, metaphernreiche, sprachbewusste Versuch, ein, wie er es selbst nennt, "book of the dead" zu kompilieren. Doch er weiß schon früh, dass er "lyreless" ist, und in gewisser Weise ist das Ende des Romans und damit von Maxs Erzählung tatsächlich ein Scheitern, da er es nicht schafft, über Annas Tod hinauszuweisen, sondern endet, sobald er diesen Moment erreicht.

Old Nobody

User und News-Scout

Postings: 3681

Registriert seit 14.03.2017

31.01.2022 - 16:56 Uhr
Ich sehe das Buch in etwa auf dem Niveau von Austers New York Trilogie.Besser fand ich nur Die Glasglocke.Das war eins der emotional intensivsten Leseerfahrungen meines Lebens. Bei Vuong und Ward hab ich leider ausgesetzt


Bzgl der Wahrnehmung von Max fand ich auch die Darstellung von Erinnerungen spannend weil er diese irgendwo als Stillleben beschreibt,nicht als bewegte Bilder. Sehr interessanter Ansatz

Perfect Day

Postings: 652

Registriert seit 18.01.2014

31.01.2022 - 18:10 Uhr
Ich bin in der ruhigen Zeit vor dem Jahreswechsel in „die See“ eingetaucht und hatte ausreichend Gelegenheit mich mit diesem Buch zu beschäftigen.

Sprachlich war das für mich wirklich eine beeindruckende Leistung. Gerade diese Exaktheit mit der Banville die einzelnen Orte und Stimmungen in Szene setzt, war umwerfend. Und es ist wirklich so: seine Sprache ist derart bildhaft, dass ich wirklich den Eindruck hatte, seine Erinnerungen würden weitestgehend als Gemälde gespeichert.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

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Registriert seit 10.09.2013

31.01.2022 - 19:35 Uhr
Das ist ein interessanter Gedanke, der auch den Gemachtheits-Aspekt seiner Erinnerungen betont. Max malt sich mit Worten sein eigenes, von der Realität unberührtes Nostalgie-Idyll.

Autotomate

Postings: 6174

Registriert seit 25.10.2014

03.02.2022 - 14:42 Uhr
Ich komme einfach nicht durch, das Buch hat tausend Seiten...

Perfect Day

Postings: 652

Registriert seit 18.01.2014

03.02.2022 - 15:59 Uhr
Wenn Du prinzipiell mit dem Stil Probleme hast, dann wird das wohl auch nicht besser. Ich denke, wenn man bis zur Hälfte nicht im Fluss ist, dann hat man auch im weiteren Verlauf keine Freude dran.

Ich fand‘s wunderbar, bin aber auch sicher, dass man völlig anderer Meinung sein kann!

Autotomate

Postings: 6174

Registriert seit 25.10.2014

03.02.2022 - 16:21 Uhr
Nee-nee, so.meinte ich das nicht, ich finde es auch wunderbar... Es ist halt so wahnsinnig dicht geschrieben, dass ich nur sehr langsam vorankomme. Bin zwar eh Langsamleser, aber das macht sich hier besonders stark bemerkbar.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

03.02.2022 - 16:47 Uhr
Ja, es ist wirklich kein Buch, das man locker weglesen kann. Aber du hast ja noch knapp zwei Monate Zeit bis zur nächsten Club-Diskussion :)

Perfect Day

Postings: 652

Registriert seit 18.01.2014

03.02.2022 - 16:47 Uhr
Dann zählst Du letztendlich zu den Glücklichen, die NOCH mehr von dem Buch haben :-)

dieDorit

Postings: 2674

Registriert seit 30.11.2015

05.02.2022 - 17:02 Uhr
Ich bin jetzt auch damit durch und kann mich den Vorschreibern eigentlich nur anschließen.

Leider habe ich das Buch sehr gehetzt gelesen, weil ich erst spät damit angefangen habe und ungeduldig wurde als ich den Thread gesehen habe :) Im Nachhinein hätte ich mir mehr Zeit dafür lassen sollen.

Auch mir hat der Schreibstil und das ständige hin und her Gespringe seiner Gedanken sehr gefallen. Insgesamt hatte das Buch viele kleine Momente, die ich ganz toll fand. Es gab aber auch vereinzelte Geschichten, die mich weniger interessierten, z.B. die mit seiner Tochter. Vom Colonel hätte ich allerdings gern mehr erfahren…

Mein Fazit, das Buch werde ich mir sicher in ein paar Jahren nochmal in aller Ruhe durchlesen.

Autotomate

Postings: 6174

Registriert seit 25.10.2014

12.02.2022 - 21:25 Uhr
Sorry vorab, dieser Text ist nun (aus Versehen) doch deutlich zu lang geraten...
---
Ich hatte schon geschrieben, für wie dick ich dieses Buch halte, aber tatsächlich bin ich jetzt doch durchgekommen^^.

Alle Superlative, die hier für den Stil gefunden wurden, kann ich nur bekräftigen: Die Detailliertheit, dieser mäandrierende Bewusstseinsstrom, der den Erinnerungen so viele Freiheitsgrade beschert (was ja auch immer wieder gern hervorgehoben wird) und der die Ebenen auf kleinstem Raum in kleinster Zeiteinheit – im Kopf des Erzählers – verwebt, diese vielen kleinen Betrachtungen und unkonventionellen Sätze, die man sich anpinnen möchte, die Weite und Dichte dieses pausenlosen Gelabers, das ist schon große Kunst.

Gut, manches erscheint mir dann vielleicht doch zu mutwillig daherfabuliert. Manchmal ist auch das ein oder andere Adjektiv zu viel drin und die Farbschattierung von irgendeinem Irgendwas zu nuanciert beschrieben. Aber ok, darüber kann ich angesichts der dargebotenen sprachlichen Kunst hinwegsehen.

Was ich nicht so gut ignorieren kann, und wo ich mich vom allgemeinen Tenor hier verabschiede, ist das, was vom Buche letztlich übrigbleibt: Nicht viel bei mir. Ein virtuos komponiertes Gedanken-Kaleidoskop eines alten Mannes, der sich in der Krankheit seiner Frau immer weiter von ihr distanziert, der ein mittelmäßiges Verhältnis zu seiner Tochter pflegt, der seine Dünkelhaftigkeit seit der Jugend nicht ablegen konnte. Der viele interessante Steinchen in der Tasche hat, aber kein bleibendes Mosaik.

Vieles belässt der Erzähler bei aller Detailverliebtheit irgendwo im Ungefähren, so ist das mit der Erinnerung ja auch stimmig. Bei Einzelheiten der Namen, der Konstellation, der Ereignisabläufe u.ä. ist es, wie oben bereits gesagt, nicht störend, sondern oft sogar angenehm zu lesen. Aber so belanglos und banal der Erzähler die "Göttlichkeit" der Familie Grace für sich sterben lässt (der trödelige Tod der Kinder kann ja nur metaphorisch gemeint sein), so belanglos betrachtet er auch das Sterben seiner eigenen Frau. Irgendwie leicht angewidert aber ansonsten emotional taub und stumm.

Wie gesagt, vielleicht soll das alles so, aber mich hat das nach hinten raus immer mehr genervt, der Erzähler ist mir mit jeder Seite unsympathischer geworden, was ich einem Buch zugute halten könnte, wenn es denn so gewollt wäre, aber ich hatte das Gefühl, dass nicht der Erzähler, sondern der Autor selbst hier einen Mangel erzeugt, eine Leerstelle, die es im Gedankenstrom seines Erzählers eigentlich nicht geben kann.

Der zunehmende Abstand beim Verfolgen der dargebotenen Gedanken hat sich im Laufe der Lektüre ein wenig auf den Roman selbst übertragen, so dass er mich letztlich mit einer erheblichen Portion dissonanten Unwohlseins zurückgelassen hat. Wirklich mit einer Zahl bewerten kann ich das Buch nicht mehr, allerdings bin ich mir sicher, froh zu sein, dass es jetzt zu Ende ist ;)

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

12.02.2022 - 22:00 Uhr
"Gut, manches erscheint mir dann vielleicht doch zu mutwillig daherfabuliert. Manchmal ist auch das ein oder andere Adjektiv zu viel drin und die Farbschattierung von irgendeinem Irgendwas zu nuanciert beschrieben. Aber ok, darüber kann ich angesichts der dargebotenen sprachlichen Kunst hinwegsehen."

Man kann vor allem gut darüber hinweg sehen, weil es perfekt zum Erzähler passt. Dass ein so von sich selbst eingenommener Kunstkritiker beim "Fabulieren" desöfteren übers Ziel hinausschießt, ist nicht allzu weit hergeholt :)

Perfect Day

Postings: 652

Registriert seit 18.01.2014

13.02.2022 - 06:43 Uhr
Absolut berechtigte Einwände, Autotomate. Diesen leicht schalen Beigeschmack am Ende empfand ich auch. Für mich hängt dies durchaus mit dem Erzähler zusammen. Bei seinem im Grunde durchschnittlichen Leben, das er in den Alten Erinnerungen wunderbar zu kolorrieren vermag, bleiben in Wirklichkeit eben auch nur ein paar Steine. Ein Mosaik hätte mich hier dann auch etwas verwundert zurückgelassen.

Deaf

Postings: 2659

Registriert seit 14.06.2013

19.02.2022 - 11:06 Uhr
Im Gegensatz zu dieDorit fand ich gerade die kurzen Sequenzen mit der Tochter sehr interessant, wohl weil ich selbst eine habe und mir das daher näher ging als z.B. das andauernde Selbstmitleid aufgrund des Todes seiner Frau.

Auch wenn ich die Kritik von Autotomate teilweise nachvollziehen kann, überwiegen für mich die Stärken des Buches, insbesondere die Geschichte und Figuren rund um die Familie Grace. Der Plot Twist mit den Zwillingen, der für mich sehr überraschend kam, ist gelungen, alles sehr gut konzipiert, ohne aber zu konstruiert zu wirken.

Werde sicher noch mehr von diesem Autor lesen, "Das Buch der Beweise" steht hier schon länger ungelesen herum.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

19.02.2022 - 12:40 Uhr
"The sea" am nächsten soll ja das fünf Jahre zuvor erschienene "Eclipse" sein. Da geht es auch um Gegenwartsflucht in die Vergangenheit und eine gestörte Vater-Tochter-Beziehung.

Autotomate

Postings: 6174

Registriert seit 25.10.2014

19.02.2022 - 13:06 Uhr
Plot-Twist? Hmm... Habt ihr das "Ertrinken" der Grace-Kinder wirklich als deren "realen" Tod aufgefasst? Für mich war das eine (recht banale) Metapher für das Ende der Beziehung des Protagonisten zur Familie Grace.

Als "reales Ereignis" wäre das schon grotesk lächerlich geschildert und würde in dieser Interpretation meine Begeisterung für das Buch noch weiter dämpfen: Die beiden gehen kurz ins Meer und ertrinken da mal eben. Vater und Mutter sterben dann auch bald, naja...

Wie oben schon geschrieben "...so belanglos und banal der Erzähler die "Göttlichkeit" der Familie Grace für sich sterben lässt (der trödelige Tod der Kinder kann ja nur metaphorisch gemeint sein), so belanglos betrachtet er auch das Sterben seiner eigenen Frau. Irgendwie leicht angewidert aber ansonsten emotional taub und stumm."

Deaf

Postings: 2659

Registriert seit 14.06.2013

19.02.2022 - 13:15 Uhr
Ja, die Kinder sind ertrunken, da gibt es für mich keinen Zweifel. Auf Wikipedia gibt es dazu auch ein Zitat von Banville:

„Also, Tod ist immer überflüssig und unmotiviert. Das ist ja die Krux, er trifft uns immer unvorbereitet. Also, das Buch verlangte nach mehr als diesem einen Tod, genau wie das Leben. Mit dem Tod der Kinder wollte ich genau das darstellen, der Tod hat keine Bedeutung. Natürlich nehmen wir ihn sehr ernst, das muss so sein. Aber es ist nicht ernst, er bedeutet das Ende gewisser Kreaturen, das ist fast zufällig. Und am Ende, in dieser letzten Szene, in der Max, das Kind also in der See steht, und diese merkwürdige Welle kommt heran, da fragt er sich, war das etwas Besonderes. Und er sagt nein, es war nur ein Schulterzucken der gleichgültigen Welt.“

myx

Postings: 4660

Registriert seit 16.10.2016

19.02.2022 - 13:47 Uhr
Genau in diesem "Schulterzucken der gleichgültigen Welt" habe ich auch die Hauptaussage des Buches gesehen.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

19.02.2022 - 14:35 Uhr
Ja, ich auch. "A splash, a little white water, whiter than that all around, then nothing, the indifferent world closing". "Indifferent" kann man hier eine Doppelbedeutung zuschreiben, es lässt sich als "gleichgültig" übersetzen, markiert die Welt des Todes aber auch als Raum ohne Differenz, also ohne Bedeutung. Die Szene finde ich damit gar nicht lächerlich, sondern angemessen beschrieben: Der Erzähler kann das Ertrinken der Kinder gar nicht anders erfassen, weil das, was im Meer, im Tod passiert, sich seiner eigenen Sinnstiftung entzieht.

dieDorit

Postings: 2674

Registriert seit 30.11.2015

19.02.2022 - 18:08 Uhr
Für mich war der Plot-Twist eher der, dass es sich bei Miss Vavasour tatsächlich um Rose handelte. Das hatte mich zumindest mehr überrascht als der Tod der Zwillinge, der sich für mich schon früher angedeutet hatte.

Autotomate

Postings: 6174

Registriert seit 25.10.2014

19.02.2022 - 18:24 Uhr
Ich finde es ja nicht unglaubwürdig, dass die Welt für den Tod nur ein Schulterzucken übrig hat und sie dies dem Erzähler auch vor Augen führt.

Dass beide Kinder, die seit Jahren am Strand Urlaub machen, ins stille Wasser tapsen und beide (!) einfach mal so ertinken, das ist, was mir nicht glaubwürdig erscheint. Für mich verliert das Buch durch diese Interpretation noch einmal erheblich an Kraft, aber ok: Die von Deaf zitierte Aussage ist eindeutig.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

19.02.2022 - 19:02 Uhr
Achso, dein Kritikpunkt ist die Unglaubwürdigkeit ihrer gleichzeitigen Tode? Ich hab das ja nicht als Unfall, sondern als Suizid der beiden Kinder aufgefasst.

Deaf

Postings: 2659

Registriert seit 14.06.2013

19.02.2022 - 19:09 Uhr
Für mich war der Plot-Twist eher der, dass es sich bei Miss Vavasour tatsächlich um Rose handelte.

Stimmt, das war natürlich auch überraschend und clever gemacht vom Autor.

Dass beide Kinder, die seit Jahren am Strand Urlaub machen, ins stille Wasser tapsen und beide (!) einfach mal so ertinken, das ist, was mir nicht glaubwürdig erscheint.

Unglaubwürdig wäre es im Normalfall schon, aber es sind ja auch ziemlich seltame Kinder, nicht? Und das Wasser ist zwar ruhig, aber immerhin ist Flut und es wird anfangs als unheimlich bezeichnet. Wenn man da absichtlich weit hinaus schwimmt, ist die Chance zu ertrinken schon relativ gross.

Autotomate

Postings: 6174

Registriert seit 25.10.2014

19.02.2022 - 20:27 Uhr
Für mich war der Plot-Twist eher der, dass es sich bei Miss Vavasour tatsächlich um Rose handelte.

Ja, damit hatte ich auch nicht gerechnet...

Unglaubwürdig wäre es im Normalfall schon, aber es sind ja auch ziemlich seltame Kinder, nicht? Und das Wasser ist zwar ruhig, aber immerhin ist Flut und es wird anfangs als unheimlich bezeichnet. Wenn man da absichtlich weit hinaus schwimmt, ist die Chance zu ertrinken schon relativ gross.

Klar, kann das theoretisch passieren, aber als Jungendliche:r in ruhiger See zu ertrinken, auch noch zu zweit... Für mich super konstruiert, aber gut, das mag Ansichtssache sein.

Ich hab das ja nicht als Unfall, sondern als Suizid der beiden Kinder aufgefasst.

Gemeinsam mal eben rausschwimmen, um sich in ruhiger See zu ertränken? Ach nee, sorry, das wäre für mich noch mal ne ganze Ecke abwegiger.

Aber ich lasse das Buch jetzt mal in Ruhe. Es ist schon toll geschrieben. Die (von mir so empfundenen) Schwächen sind allerdings erheblich genug, um es bei Gelegenheit weiterziehen zu lassen.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

19.02.2022 - 21:02 Uhr
Naja, was heißt "mal eben", die Demütigung durch Rose hat bei Chloe, einem, in Deafs Worten, "seltsamen Kind" mit starken destruktiven Neigungen und Gefühlsschwankungen, eine heftige emotionale Reaktion ausgelöst und Miles als ihr Zwilling ist ihr halt gefolgt. Ich meine "Suizid" nicht unbedingt in dem Sinne, dass die sich da jetzt hingesetzt und aktiv geplant haben "Komm, wir gehen jetzt ins Meer und bringen uns um." Eher als eine Impulsreaktion, die durch das absichtliche weite Rausschwimmen Extreme auslotet und keine Rücksicht auf die (fatalen) Konsequenzen nimmt.

Aber das ist mal wieder ein für mich wirklich interessanter und faszinierender Wahrnehmungs- bzw. Deutungsunterschied. Ich habe ehrlich gesagt nie in Betracht gezogen, dass es irgendwas anderes als ein Suizid sein könnte, weil ich daran keinerlei Zweifel hatte. Für mich war das sowohl beim als auch nach dem Lesen absolut eindeutig und naheliegend. Literatur ist schon was Tolles, oder? :)

dieDorit

Postings: 2674

Registriert seit 30.11.2015

19.02.2022 - 21:57 Uhr
Lässt genau das der Autor nicht bewusst offen, wenn er schreibt:

“I would like to ask her, if she blames herself for Chloe’s death – I believe, I should say, on no evidence, that it was Chloe who went down first, with Myles following after, to try to save her – and if she is convinced their drowning together like that was entirely an accident, or something else.”

Seite: 1
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