Listen




Banner, 120 x 600, mit Claim


Special

Wassersport
23. Haldern-Pop Festival, 4.-6. August 2006

Haldern-Pop '06: Land unter, Volk munterVielleicht ist es an der Zeit, den Klimawandel als feste Größe der europäischen Open-Air-Kultur zu begrüßen. Nach dem abgesoffenen Glastonbury-Festival im Vorjahr und einem Hurricane '06, das vor wenigen Wochen erst seinem Namen reichlich windige Ehre machte, meldete sich der Wettergott auch auf dem 23. Haldern-Pop nachdrücklich zu Wort. Dabei war es eigentlich nur eine kurze Stippvisite. Aber einen solch heftigen Wolkenbruch, wie er am Freitag den Alten Reitplatz in eine Seenlandschaft verwandelte, haben selbst die hartgesottenen Bauern vom Niederrhein noch nicht erlebt. Mancher Festivalbesucher nutzte das lauwarme Naß spontan für ein erfrischendes Brustschwimmen, bis die aus allen umliegenden Städten und Gemeinden herbeigeeilten Feuerwehren den Reitplatz ansatzweise trocken pumpten.

Dieser begossene Pudel ist Keith Murray (We Are Scientists): 'You are wet. You are so beautiful.'Tags zuvor im reiseerprobten Spiegelzelt war es nicht ganz so spritzig vonstatten gegangen, als die Waking Eyes und die Mystery Jets mit garagigem Pop die ersten Gäste anwärmten. Martha Wainwright gab dann die folkige Raubkatze, und Novastar erfreuten die anwesenden Popfreunde. Zur späten Stunde gab's dann das Highlight des Eröffnungstags: Lambchop verzückten mit beseelter Ruhe. Da strahlte das Spiegelzelt noch mehr als ohnehin schon.

Auch der Freitag war zunächst etwas für sonnige Gemüter. Die anreisenden Nachzügler genossen die Sonnenstrahlen, während Allesseher sich im Zelt u.a. über Daniel Benjamin, den jüngsten Neuzugang des Haldern-Pop-Labels, freuten. Dann endlich ging's auch auf der Hauptbühne los: The Veils jonglierten gleich mal mit den Gitarren, Morning Runner rumpelten ihren Glum Rock herunter, und The Zutons ließen die Meute so richtig fett grinsen. Nicht nur wegen Abi Hardings plärrendem Saxophon tanzte da Musik aus den Lautsprechern, als hätte sie ein Wiesel in der Unterhose. Dieser Bluesrock ist mal alles andere als scheintot.

Ben Gautrey (The Cooper Temple Clause): Ob das Bühnendach dicht genug ist?Es hätte alles perfekt weitergehen können. Mit We Are Scientists standen die Zeichen auf Party. Und schon beim früh abgefeuerten "Nobody move, nobody get hurt" war vor der Bühne alles klitschnaß. "You are wet. You are so beautiful", meinte Sänger Keith Murray. Dumm nur, daß das kein Schweiß war, sondern gefühlte hundert Liter Regen pro Quadratmeter. Das Erstaunlichste aber war, daß das aus dem Vorjahr regengetestete Halderner Publikum keineswegs vollständig in die Zelte flüchtete. Sondern nicht nur weiter mit We Are Scientists feierte, sondern auch die ungläubig dreinblickenden The Cooper Temple Clause. Ihr bisweilen apokalyptischer Schaltkreisrock ließ die Ohren glühen. Wenn man denn wetterfest genug war.

Irgendwo hinter all den Haaren steckt Hans Magnus 'Snah' Ryan (Motorpsycho).Als sich der Regen wenigstens auf mitteleuropäisches Normalnieseln reduziert hatte, kam die Zeit für klassischen Spacerock. Norwegens Motorpsycho zimmerten sich ihre so typische Wall Of Sound mit einer euphorisierenden Wagenladung an alten und neuen Hits zusammen. Episch, verfrickelt, testosterongedopt. Und am Ende der passende Kommentar zum Wetter: "Walking on the water." Deutlich ruhiger waren dann die alten Bekannten von Element Of Crime. Mit melancholischer Routine, Trompete und nicht nur "Delmenhorst" im Gepäck lud Sven Regener zum Mitkrächzen ein. "Den ganzen Tag unter Wasser und Spaß dabei."

Es folgte der Grund, aus dem sich die quietschnassen T-Shirts, Schuhe und Unterhosen der letzten Geduldigen doch so sehr lohnen sollten: Mogwai. Wie kleine Jungs mit ihren neuesten Spielzeugen zauberten die Schotten lauter kleine Melodien aus ihren Gitarren, schichteten sie übereinander wie Bauklötze und ließen sie beinahe lautlos verklingen. Stuart Braithwaite (Mogwai) Ganz leise wurde es auf dem Reitplatz. Schon trauten sich die ersten Sterne, durch die mitternächtliche Wolkendecke zu funkeln. Und im nächsten Augenblick zermörserte die rohe Gewalt der Verzerrer das zarte Pflänzchen Schönheit. Brachiale Anmut. Und wer darob noch nicht endgültig im Schlamm versunken war, konnte im Spiegelzelt alsbald den irischen Britpop der Revs und den Violinen-Wahnsinn von Final Fantasy erleben.

Runderneuert zeigte sich der Alte Reitplatz am Samstag Mittag. Daß man noch einmal trockenen Fußes vor die Bühne gelangen konnte, war kaum noch für möglich gehalten worden. Umso mehr freute sich das Publikum über das Beneluxgeschrammel von Gem, den Cockneyrock von The Rifles und das wirre Gezwitscher der Islands. Aristazabal Hawkes (Guillemots): alles senkrecht Die Guillemots inszenierten sich dann als kakophonisches Spektakel. Der Kindergeburtstag auf der Bühne schubste immer wieder den frisch angepflanzten Brian-Wilson-Pop einfach um. Und zerrte dazu noch ein wenig an allen Instrumenten, die noch nicht kaputt waren. Beinahe noch mehr Leidenschaft brachten The Wrens ins Spiel. Altmodischer Indierock und voller Körpereinsatz machen auch alte Herren zu bejubelten Helden der Arbeit. Konventioneller war dann der Lockenpop der Kooks. Allzu routiniert spielten sie Hits wie "See the world", "Matchbox" und "She moves in her own way" herunter. Immer mitsingkompatibel, aber ziemlich harmlos.

Danach langweilte Paolo Nutini mit verzichtbarem Liegestuhlsoul zwischen Jack Johnson und Simply Red, und auch James Dean Bradfield mühte sich eher vergeblich um Intensität. Gerade im Vergleich zur eingestreuten Manics-Hymne "Ocean spray" entpuppten sich die Solosongs als leider nur lauwarmer Aufguß der Manic Street Preachers. Neil Hannon (The Divine Comedy): Der Gentleman kurbelt den Pizzakonsum an. Aber kein Grund für Frust, denn der große Entertainer wartete schon. "Are you ready to, err, rock? You are? We're not!" Neil Hannon und The Divine Comedy begeisterten zum nun schon dritten Mal die Niederrheiner mit spitzer Ironie und stilsicherem Vaudeville-Pop. Schunkeln und schmunzeln zu Schlagern wie "Generation sex", "Becoming more like Alfie" und "Diva lady". Und als mittendrin plötzlich Nelly Furtados "Maneater" lospumpte, freute sich sogar der Vollmond.

Zum Abschluß ging es dann noch mal in die Vollen: Greg Dullis The Twilight Singers dramatisierten auf der Hauptbühne, während im Spiegelzelt Spaßvogel Ed Harcourt den Jazz-Rabauken gab. Doch noch immer hatte das 23. Haldern-Pop einen draufzusetzen: Um 2.45 Uhr (!) zeigten Kante, was sie gegen Müdigkeit auszurichten haben: "Die Nacht, der Rausch und der Exzess." Rock and Roll. Das hätte auch die Hauptbühne zum Wackeln gebracht.

Übrigens: Gerüchten, denen zufolge das Haldern-Pop 2007 gleich direkt im benachbarten See stattfinden soll, muß an dieser Stelle entschieden entgegengetreten werden.

Links:
Haldern-Pop - Das Festival
Haldern-Pop 2006 (Diskussion in unserem Forum)
Haldern-Pop im Rockpalast
Haldern-Pop bei EinsLive
Haldern-Seite von Diebels
Diebels-Festivals (Rund um den Festivalsommer)

Text: Oliver Ding
Fotos: Kathrin Grannemann, Elisabeth Puchert, Björn Szostak, Pressefreigaben