Auf seinem Debütalbum "Lycanthropy" schilderte er noch eine Verwandlung zum Wolf. Darüber möchte er aber jetzt nicht mehr sprechen, gibt Patrick Wolf gleich zu verstehen. Das ist passé. Gegenwart ist "Wind in the wires", sein unglaublich tiefgründiger Zweitling. Keine einfache Aufgabe, dieses Album, aber eine große Herausforderung, die sich nach und nach als Meisterwerk entpuppt.
Patrick Wolf entpuppt sich im Gespräch mit Armin Linder als auf seine eigene Weise netter, wenn auch leicht verschrobener Zeitgenosse. Über manches spricht er nicht, über anderes viel, aber langsam. Und wenn er zu offen werden will, bremst er sich gerade noch selbst. Gelegentlich preßt er ein leises Lachen heraus, das fast schon gekünstelt wirkt. Als ob er auch mal ein klein wenig normal sein möchte oder zumindest so tun, als ob. Es steht ihm nicht. Er ist nicht wie die anderen. Und das macht diesen Patrick Wolf um so faszinierender.
Die verwendeten Klänge, aber auch die Songs selbst auf "Wind In The Wires" wirken sehr organisch, erdverbunden. Welche Rolle spielt die Natur für Dich und Dein Schaffen?
"Sie war schon immer ein großer Teil meiner Musik. Mit 16 wurde ich in ein Internat auf dem Land gesteckt. Bis dahin war ich ein Stadtjunge. Und plötzlich wurde der Stecker gezogen. Ich war weg von der Zivilisation. Alleine mit den Hügeln, dem Regen. Da habe ich realisiert, worum es im Leben eigentlich geht. Was wichtig ist in der Kommunikation, was echt ist und was nicht."
Inwiefern ist Deine heutige Musik denn überhaupt noch mit der modernen Welt verbunden?
"Nun, ich lebe in der modernen Welt, das ist klar. Und ich schreibe auch über sie. Aber ich ziehe es vor, mich auf besondere Elemente zu konzentrieren. Ich schreibe nicht über Frauen oder sowas. Sondern über meine Erfahrungen in dieser Gegenwart und meine Reaktionen darauf."
Also sicher nicht über Politik.
"Nein, momentan schreibe ich besser nicht über Politik. Wenn ich eines Tages 60 bin, verspüre ich vielleicht das Bedürfnis und fühle mich gebildet genug, um einen Kommentar dazu abzugeben. Aber noch speist sich meine Musik lieber aus einer Art abstraktem Zauber, aus Glückseligkeit."
Wann hast Du Dein erstes Instrument gelernt?
"Ich habe mit dem Klavier angefangen, da war ich 5 oder 6. Aber ich haßte es. Wenn Du mit dem Klavierspielen anfängst, kommt es Dir zu mathematisch vor, als ob Du auf einem Taschenrechner rumdrückst. Am Anfang kommst Du nicht dazu, mit Leidenschaft zu spielen. Dann habe ich mich für die Geige entschieden, weil sie mir irgendwie magisch erschien. Ich war fasziniert davon, wie der Bogen es vermag, die Saiten so zum Schwingen zu bringen. Das war ein komplettes Rätsel für mich."
Wieviele Instrumente beherrschst Du heute?
"Zwei oder drei verschiedene Instrument-Familien. In der Keyboard-Familie spiele ich Akkordeon, Konzertflügel, Synthesizer, Orgel. Das ist ja alles als Instrument ziemlich ähnlich, klingt nur anders."
Siehst Du Dich als technisch guter Spieler oder eher als Geräuschesammler?
"Ich denke, meine Fertigkeiten sind in den letzten zwei Jahren deutlich gewachsen. Als ich begonnen habe, Songs zu schreiben, konnte ich noch nicht so richtig rüberbringen, was ich eigentlich wollte. Ich denke, inzwischen kann jetzt sehr sehr, sehr, sehr gut spielen, habe aber auch sehr hart daran gearbeitet. (lacht) Zumindest, was die Geige angeht, bin ich definitiv ein guter Spieler. Ich übe, seit ich 6 bin. Anfangs war es noch eine Art Notfallplan, irgendwann einem Orchester beizutreten oder als Geigenlehrer anzufangen. Vielleicht entschließe ich mich eines Tages auch, nicht mehr zu singen und nur noch Geigenplatten aufzunehmen."
Das würden aber einige bedauern. Wann hast Du denn Deine Stimme entdeckt?
"Als ich in den Stimmbruch kam, so etwa mit 12. Ich habe davor in Chören gesungen, auch als Solist. Dann kam ich in den Stimmbruch, und es war, als ob ich meine Kindheit verliere oder einen besten Freund. Als Teenager ist es sehr schwer, mit der Stimme umzugehen. Deine Stimme ist sehr instabil. Es hat gedauert, bis ich 19 war, daß ich meiner Stimme wieder vertrauen konnte. Aber noch heute ist sie ein unberechenbares Instrument."
Deine großartige, klare Stimme bietet auch einen tollen Kontrast zu den düsteren Klängen des neuen Albums.
"Ja, das ist phantastisch. Meine Stimme wird stärker und stärker. Der Körper hört auch nicht auf, neue Haare sprießen zu lassen, bis man 28 oder so ist. Ich fühle mich wie ein heranwachsender Junge. Auch meine Stimme wächst noch, es ist sehr spannend für mich, das zu verfolgen."
Würdest Du mir zustimmen, daß das Album eine sehr dunkle Stimmung hat?
"Ja, das würde ich auch sagen. Aber wenn ich schreibe und etwas entdecke, das von Angst oder Hoffnungslosigkeit handelt, fühle ich immer noch das Bedürfnis, etwas Hoffnung hineinzubringen. Wenn ich etwas Negatives gebe, brauche ich auch immer etwas Positives. "
Wie nimmst Du Deine Songs auf? Hast Du ein Studio zuhause?
"Nein. All die Konzertflügel- und Streichersachen wurden in einem sehr vornehmen Studio eingespielt, mit hohen Decken und riesigen Fenstern mit Gartenblick. Der Vorgänger wurde zum Teil noch auf dem Land eingespielt, mit Laptop und so. Mein Laptop ist mir eh sehr wichtig, damit kann ich die Vocals sogar im Wald aufnehmen. Aber mit "Wind in the wires" war alles weit professioneller. "
Und Du wolltest nichts im Wald aufnehmen?
"Nein, diesmal nicht. Aber ich habe für die Zukunft schon Pläne geschmiedet, mehr draußen einzusingen, weil Du da einfach eine bessere Akustik hinkriegst."
Das Rauschen des Waldes und Deine Stimme. Inwieweit würdest Du Dich denn da als Romantiker bezeichnen?
"Romantik hat immer so etwas Sentimentales. Ich würde mich eher leidenschaftlich nennen als romantisch."
Ein Song des Albums heißt "Ghost song". Hast Du je einen Geist gesehen, in irgendeiner Form?
"Ich halte meine Augen schon immer für die etwas anderen Dinge offen. Verkehrsstaus, Fischpreise, Fernsehen. Ich habe eine Menge Freunde, die ... (stockt) Eigentlich fühle mich irgendwie unwohl, wenn ich darüber spreche, weil ich keine Ahnung habe, ob Du das alles überhaupt verstehst oder das gleiche Empfindungsvermögen hast. "
Zumindest versuche ich Dein Album zu verstehen und hab's schon unzählige Male durchgehört.
"Na gut. Aber es ist wie bei einem Zauberer, der seine Tricks auch nicht verrät. Es gibt gewisse Dinge, über die ich einfach nicht sprechen kann, um mir meine Mächte zu bewahren."
Schon in Ordnung. Aber denkst Du, Du siehst Dinge, die andere nicht sehen können?
"Ich denke, ich sehe Dinge, die die Leute sehen sollten! Und ich mache sie dann hoffentlich auch darauf aufmerksam."
Die meisten Bands veröffentlichen ihre Platten ja, um die dicke Kohle zu machen oder Rockstars zu werden. Schreibst Du Deine Musik nun mehr für Dich als für die Hörer?
"Das ist eine fiese Frage. (lacht) Ich mache, was ich mache, selbst wenn ich dafür bezahlen müßte. Was ich ja auch schon mußte. "
Also siehst Du Musik als Berufung an?
"In gewisser Weise, ja."
Kommt dir das alles nicht manchmal seltsam vor? Du bist gerade mal 21 und hast doch schon mehr erreicht als die meisten anderen in ihrem Leben.
"Seltsam, daß Du das so siehst. Meine Leistungen bestehen eigentlich nur aus Dingen, die ich tun mußte. Ich habe sie jedenfalls nicht gemacht, um Ruhm einzuheimsen oder großartige Reviews oder kreischende Fans. Mein Vater mußte mit 22 nach Indien, um in einem Krieg zu kämpfen. Und mein Großvater hat in Irland eine Farm. Und ich finde, sie haben im Gegensatz zu mir wirklich etwas erreicht."