Ihr neues Album "The beekeeper" schallt zwar erstaunlich leichtfüßig, ist vielleicht gar das zugänglichste ihrer Karriere. Das muß aber noch lange nicht heißen, daß Tori Amos mit der momentanen Weltordnung zufrieden ist. Ganz im Gegenteil.
Im Interview mit Armin Linder in einer Münchner Hotelsuite äußert sich Tori Amos über ihr neues Album, über das drohende Unheil auf der Welt, über die Unterdrückung der Künstlergilde und ihren Weg, dagegen anzukämpfen.
Auf Deinem neuen Album "The beekeeper" finden sich zwischen den Zeilen immer wieder Referenzen auf die Bibel. Was hat den Anstoß dazu gegeben?
"Wir hören zur Zeit ständig und überall Bezüge auf die Bibel. Sie wird dazu benutzt, die Stimmen der Massen zu gewinnen. Ich habe eine Menge Auszüge wiedererkannt, die dafür umgekehrt und mißbraucht worden sind. Als dann der Krieg immer brutaler und komplizierter wurde - was viele schon vorher erwartet hatten, aber nicht wahrhaben wollten -, wurde mir etwas klar: Tochter eines Pastors zu sein ist eine Rolle, die ich annehmen muß, in die ich einzutreten habe. Und das realisiere ich jetzt erst, nach all diesen Jahren biblischer Erziehung, bei denen ich fast eingeschlafen wäre. Ich habe rote Hosen getragen, Konfirmationsunterricht gegeben und mir die Teufel austreiben zu lassen - wahrscheinlich nur, damit ich sie wieder reinlassen kann. (lacht) Um zurück zur Frage zu kommen: Ich habe versucht, eine Geschichte und Bilder zu zeichnen, als Antwort auf die aktuelle Situation - nicht nur Amerika betreffend. Ich wollte zurückkehren zu einer altertümlichen Tradition, die seit langem existiert. Und die Imkerei ist historisch und mit der Erde selbst verbunden, keine weitere Religion. Trotzdem wollte ich auch einige der Bilder aus der Bibel benutzen. Jene Worte, die diejenigen mißbrauchen, die sich als Anführer dieses kleinen blauen Planeten bezeichnen."
Im Februar ist Dein Buch "Tori Amos - Piece by piece" erschienen, das aber keine echte Autobiographie ist. Was dann?
"Ann Powers von der 'New York Times', mit der ich das Buch gemeinsam geschrieben habe, wollte unbedingt, daß ich mit ihr über den Prozeß des Songwritings spreche. In gewisser Weise ist das Buch ein Backstage-Paß zu meinem Vorgehen. Nicht immer 'Access all areas', aber teilweise. Wenn ich mit einem Projekt durch bin, offenbare ich gerne einige der Prüfsteine, denen ich mich ausgesetzt habe. Das Buch zeigt einen Weg des Schöpfens, meinen Weg. Niemand kann etwas nach der Vorgabe eines anderen erschaffen. Aber wenn ich zum Beispiel erfahre, wie meine Lieblingskünstlerinnen wie Cindy Sherman oder Georgia O. Keefe etwas kreiert haben, entzündet es manchmal ein Feuer in mir, das erloschen war. Manchmal schaue ich ihre Werke an, und der Funke springt über springt über, von Medium zu Medium."
Also ist das Buch eine Anleitung, wie Du Deine Songs schreibst?
"Eine Blaupause vielmehr. Es zeigt einen Weg, meinen Weg. Ich offenbare meine Arbeitsweise anderen Komponisten, die - wenn sie eine Schreibblockade durchleben oder vom Stand der Dinge demoralisiert sind - motiviert werden, sich selbst zu sammeln. Die Tradition echter Musiker ist verloren gegangen oder verschlungen worden. Vom Geschäft, den Medien, den Plattenfirmen, der Öffentlichkeit. Sie fördern nur die Unterhalter, nicht die Musiker. Ich könnte so was nicht. Für einen Markt schreiben, anstatt die Jetztzeit abzubilden. Musiker, Dichter und Maler zu unterdrücken ist ein sehr raffinierter Weg, das Bewußtsein der Massen verhungern zu lassen."
Was könnte ein Ausweg aus dieser Situation sein?
"Wir Künstler sollten der Barometer für das sein, was sich in einer Kultur niemand zu sagen traut. Wir sollten es aufnehmen, das ist unsere Aufgabe. Wenn alles vom Geschäft und der Politik kontrolliert wird, wird die ganze Welt zum Einwegartikel. Du mußt dich nicht einmal darum kümmern, etwas zu recyceln. Du kriegst immer schön deine Mahlzeiten, dein Happy Meal, kannst alles wegwerfen und mußt dir nicht einmal einen Kopf darüber machen, das Styropor zu trennen. Nach der Devise: 'Die Erde wird's schon verkraften.' Was ich sagen möchte: Man unterdrückt eine Kultur, indem man sie mit unendlich viel Information vollstopft, die das Denkzentrum der Menschen davon abhält, autonom zu sein und individuell. Und überhaupt zu hinterfragen, was passiert. Erst wenn die politische Welt keine Erleuchtung mehr zu bieten hat, wird Kunst so richtig faszinierend. Es ist leicht zu sagen: 'Oh nein, noch mal vier Jahre!' Oder 'Oh nein, der Krieg hat immer noch kein Ende!' Oder 'Oh Gott, ein Beben, die Welt spielt verrückt!' Aber die Erde spricht zu uns! Wir haben das Kyoto-Protokoll immer noch nicht unterschrieben. Was braucht es denn noch? Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir als Musiker sagen: 'Das Maß ist voll!'? Und uns angestachelt fühlen, uns zusammentun, weil wir gebraucht werden? Ich hab da dieses Bild vor mir: Uncle Sam (Symbol für die USA, Anm. d. Verf.), wie er ruft: 'We need you! Calling all musicians! Calling all players! Calling all composers!'"
Aber hoffentlich nicht für so etwas wie Band Aid 20. Das Kollektiv bekannter Künstler, das "Do they know it's Christmas time" neu aufgelegt hat. Oder?
"Bloß nicht. Es sei denn, das hilft irgendwas. Zum Beispiel gegen die Blase an meinem Fuß. Der ist nämlich ganz blutig gelaufen von all den verdammten High Heels, die ich immer noch ständig trage. Und das mit 41!"
Wurdest Du denn gefragt, ob Du bei Band Aid 20 mitmachen möchtest?
"Ich bin keine Britin. Es ist natürlich leicht, sich über so etwas lustig zu machen. Ich muß ehrlich sein: Ich halte von solchen Dingen bewußt Abstand und setze andere sinnvolle, wichtige Projekte um (u.a. hat Tori Amos 1994 das 'Rape, Abuse And Incest National Network' mitbegründet, die bis heute einzige amerikaweite, kostenlose Notrufhotline für Vergewaltigungsopfer, Anm. d. Verf.). Hauptsache ist immer, daß die Kids wachgerüttelt werden können. Und sich fragen: 'Moment mal! Was werden wir in 20 Jahren alles bereinigen müssen? Von dem Schlamassel, den die heutige Generation angerichtet hat ?' Die Verursacher werden dann weg sein. Die meisten denken heute nicht an die nächste Generation. Deshalb hab ich meine Arbeitsweise nun auch offengelegt. Kann sein, daß das nicht einer Person hilft. Aber ich habe getan, was ich konnte."
Text: Armin Linder
Fotos: Kevin Mackintosh (Pressefreigaben)
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