Vorab (erneut) als "bestes Festival-Line-Up des Jahres" gefeiert, standen die Veranstalter des 21. Halderner Open-Airs vor ähnlichen Personalsorgen wie der DFB: Noch wenige Tage, bevor der erste Ton erklingen sollte, mußte man erneute Absagen verkraften und Ersatz beschaffen. Doch auch wenn The Cooper Temple Clause, Simple Kid, The Zutons und The Bees dem Alten Reitplatz in Rees-Haldern fern blieben, konnte sich der geneigte Freund des Niederrheinischen Traditionsfestivals wie üblich auf zwei Tage Livemusik vom Allerfeinsten freuen.
Genau genommen ging der ganze Rummel diesmal sogar schon am Donnerstag Abend los: In einem schnuckeligen Spiegelzelt, das man sich in den Niederlanden ausgeliehen hatte, stimmten ein paar kleinere Bands die ersten Besucher schon mal auf das Wochenende ein. Auch die Nachwuchsbands und das Nachtprogramm fanden im "Marquee The Rolling Stone / Grand Café Besonic"-Zelt ein neues Zuhause und riesigen Anklang. Nicht selten konnte man nur noch von draußen zuhören, weil die Kapazität von 400 Besuchern im Zelt überschritten war.
Offizieller Beginn auf der Bühne war dann aber am Freitag mit Amphibic, einem der ersten Acts auf dem neuen Haldern-Pop-Label. Und auch wenn es in diesem Jahr nicht so heiß war wie 2003, waren die meisten Besucher zu dieser Zeit noch irgendwo zwischen Zeltplatz und Badesee unterwegs. Es folgten gepflegter Folk-Pop von HAL, Noise-Pop von Ghinzu und der schwedische Singer/Songwriter Nicolai Dunger, der zwar ohne seine Album-Begleitband Mercury Rev auftrat, aber trotzdem für Verzückung sorgte. Begeistert aufgenommen wird in Haldern ja sowieso jede Band, und sei sie noch so unbekannt. Nach I Am Kloot war es Zeit für das erste richtig große Highlight, die erste Sensation des Festivals: dEUS, die Alternative-Legenden aus Antwerpen, kehrten auf die Bühne zurück. "This is our first gig since the seventies", scherzte denn auch Frontmann Tom Barman, ehe er die Show eröffnete, in der eine Handvoll neuer Songs kunstvoll zwischen die alten Klassiker und Coverversionen ("Guess I'm falling in love" von Velvet Underground als Opener) eingeflochten waren.
dEUS waren zum zweiten Mal in Haldern dabei und gehörten damit zu einer ganzen Reihe "Wiederholungstäter" an diesem Wochenende. Die nächsten folgten auf dem Fuße: Starsailor, die 2001 schon Co-Headliner waren, ohne auch nur ein Album veröffentlicht zu haben, enterten unter lautem Jubel die Bühne. Außer der Musik erinnerte nur noch wenig an die schüchternen Jungs, die hier vor drei Jahren ihre Lieder vorgestellt hatten. James Walsh ist zu einer kleinen Rampensau mutiert, und so war es auch nicht verwunderlich, daß er beim Outro zu "Born again" kurzerhand U2s "Bad" zitierte. Walsh freute sich sichtlich, wieder in Haldern zu sein. Und selbst wenn er ähnliches in jeder Stadt behauptet, sein "Isch liebe Haldern!" wurde von jedem im Publikum wie ein ganz persönliches Liebesgeständnis gefeiert. Bei "Four to the floor" ("The next song is a disco number") hüpfte dann auch das ganze Publikum, und es konnten die einzigen Crowdsurfer des Wochenendes gesichtet werden. Etwas ruhiger ruhiger ging es dann bei Adam Green zu, der den ersten Tag auf der Hauptbühne routiniert abrundete.
Der Samstag begann mit einer Haldern-typischen Neuentdeckung: Gisli vertrieben mit ihrem Indiepop zwischen Lemonheads und Weezer die letzten Wolken, so daß einem weiteren heißen Tag nichts mehr im Wege stand. Patrick Wolf und South waren da deutlich weniger eingängig und forderten dem Publikum mit ihren verspulten Nummern etwas mehr ab.
Doch dann regierten wieder die großen Melodien: Embrace waren nach 2000 zum zweiten Mal dabei und präsentierten vor allem Uralt-Nummern und neues Material (darunter die von Chris Martin geschriebene Single "Gravity"). Kein einziges Stück vom verkorksten "If you've never been" - späte Erkenntnis?
Erkenntnis sollte sicher auch der Auftritt von The Soundtrack Of Our Lives vermitteln. Sänger Ebbot Lundberg tobte in einem Priestergewand über die Bühne und bat die Zuhörer, auf dem Acker Platz zu nehmen. Die gehorchten, und Lundberg nahm singend ein Bad in der Menge, während seine Band sich durch einen spaßigen Zitatenstrauß pflügte. Keane bewiesen, daß man weder einen Gitarristen noch einen (leibhaftigen) Bassisten braucht, um Popmusik zu machen - ein charismatischer Frontmann reicht vollkommen. Und auch wenn man es bei Tom Chaplin auf den ersten Blick nicht unbedingt glauben würde: Der Mann sprang wie ein Flummi umher und hatte am Ende ein ebenso nasses Hemd wie die Leute in den ersten Reihen, die zuvor von der Feuerwehr abgekühlt worden waren.
Back to the seventies hieß es bei den Kings Of Leon. Die vier Jungs aus Tennessee gaben dem Wort Retro-Rock eine völlig neue Bedeutung, der schwedische Singer/Songwriter Jose Gonzales war da wieder deutlich zeitloser. Doch dann kam einer, der Seventies und Zeitlosigkeit verband: Paul Weller, nach 2000 ebenfalls zum zweiten Mal vor Ort. Mit seiner Band spielte er auch wieder The-Jam-Klassiker, gegen die seine aktuelleren Solo-Sachen merklich abfielen. Das interessierte seine Jünger, die jedes Lied frenetisch feierten, freilich weniger.
Nach einer gut einstündigen Umbauspause war der nächtliche Niederrhein dann bereit für den mehr als würdigen Abschluß: The Divine Comedy (auch 2001 dabei gewesen) spielten mit einem Orchester aus der Region auf.
Die ersten gemeinsamen Proben hatten am Vorabend stattgefunden, umso beeindruckender war das Ergebnis. "They're officially all rockstars now", attestierte Neil Hannon dann auch den Orchestermusikern. Dann widmete er sein "Generation sex" George W. Bush, "The one and only idiot" - heißt es im Text doch so schön: "Generation sex elects the type of guys you wouldn't leave your kids with." Besonderer Höhepunkt dieses großartigen Abschlußreigens war dann die orchestrale Barock-Version von "No one knows" der Queens Of The Stone Age (Kurt Weill gewidmet).
Mit "Absent friends", dem Titeltrack des aktuellen Albums, endete der offizielle Teil des Festivals auf der Hauptbühne - womit wir wieder bei den Absagen vom Anfang wären. Bei aller Brillanz, wirklich vermißt wurde wohl keiner der abgesagten Künstler. Dafür war es auch in diesem Jahr wieder viel zu schön.
Links:
Haldern-Pop
Haldern 2004 (Diskussion in unserem Forum)
Haldern-Seite von Diebels
Diebels-Festivals (Rund um den Festivalsommer)
Text: Lukas "Cameron" Heinser
Fotos: Martina Drignat, Kathrin Grannemann