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Da Du schon vom neuen U2-Album redest: Beim Soundcheck habe ich Euch etwas zugehört und bei einem Stück hat mich Deine Stimme ziemlich an die Art erinnert, wie Bono singt. Das hing wohl auch damit zusammen, daß die Gesangsstimme wunderbar zur akustischen Gitarre paßte. Wenn Du jetzt neue Stück schreibst, schreibst Du sie erkennbar mehr aus einer düsteren Singer/Songwriter-Postition heraus. Jon: "Wenn Du in den USA das Radio anmachst, hörst Du kaum noch Pop- oder Rockbands, bei denen wirklich gesungen wird. Das meiste ist hauptsächlich Rap oder ähnliches. U2 hingegen sind so groß. Die könnten alles mögliche machen und man würde sie sich trotzdem anhören. Es gibt nur noch ein paar Bands da draußen, bei denen gesungen wird, wie U2, Depeche Mode oder Radiohead. Ich liebe diese Bands und denke auch, daß sie mich in gewissem Maße beeinflußt haben. Bei den Radiostationen in Los Angeles sind aber U2 und wir die beiden einzigen Bands, die gespielt werden, bei denen noch wirklich gesungen wird." Justin: "Nimmst Du Leute wie Bono oder Dave Gahan, fällt auf, daß sie in einer Bariton-Stimmlage singen. Jon hat eine ähnliche Stimmlage und von daher ist das ein recht offensichtlicher Vergleich." Jon: "Kein Widerspruch von mir. So etwas hörst Du aber nicht mehr im Radio. Wenn Du das anmachst, hörst Du Kid Rock, Limp Bizkit, Incubus, Rage Against The Machine, Korn, Deftones oder Papa Roach. Auf gewisse Weise halten wir dazwischen also die Fahne hoch. Ich mag es natürlich, mit U2 verglichen zu werden. Das kommt mir manchmal fast wie ein Witz vor. Ich kann es kaum glauben, daß man unsere Platten bespricht und mich in einem Atemzug mit Bono nennt." Bei unseren Rezensionen haben wir für solches "Name dropping" eine eigene Abteilung. Um unseren Lesern ein gewisses Bild zu vermitteln, das der Text alleine vielleicht nicht bietet, führen wir einige Namen bekannter Bands auf, um einen Eindruck zu geben. Dort tauchen bei Euch zum Beispiel U2, Depeche Mode oder sogar die Simple Minds auf. Außerdem durchfließt das neue Album so eine Art Waverock-Gefühl, das an die achtziger Jahre erinnert, als solche Bands die Charts dominierten. Justin: "Als ich die Songs von "Music for people" das erste Mal hörte, spielte Jon sie auf der Akustikgitarre. Daher kommt auch der Sound des Albums. Eigentlich sind die Stücke Popsongs. Wenn Du diese Rap-Metal-Sache nimmst, hast Du ein paar Loops und wirklich laute Gitarren, dann kommt dann der Rap-Part dazu. Bei Bands wie U2 oder den Simple Minds hast Du unter all dem "Earcandy" noch wirkliche Songs." Jon: "The Edge könnte einfach nur mit Bono und seiner Gitarre auf Tour gehen, und trotzdem wären die Stücke wunderschön. Deswegen macht es mich immer etwas verlegen, wenn man mich mit U2 im selben Satz nennt." Die Atmosphäre, die die Stücke verbreiten, ist vergleichbar. Statt einiger schneller Hooklines gehen hier Arrangement und Song zusammen, so daß man den Song nicht nur hören, sondern sogar fühlen kann. Justin: "Wenn Du die Bands nimmst, über die wir geredet haben, wie Korn, Limp Bizkit oder die Deftones, gibt es bestimmt auch bei ihnen Fans da draußen, die sagen würden, daß man die Songs fühlen kann. Niemand kann darüber richten, ob das Kunst sei oder nicht. Für manche Leute kann auch diese Musik wichtig sein." Vielleicht liegt es einfach daran, mit welcher Art von Musik man aufgewachsen ist. Steve: "Nun, ich bin auch mit Rap aufgewachsen. In meiner Plattensammlung wirst Du aber Sachen wie das Album von Travis finden, bei dem ich einfach wegschweben kann. Ich habe außerdem alle Platten von Korn zuhause. Ich liebe dieses Zeug. Danach kommt bei mir dann vielleicht etwas von Massive Attack und irgendein Jazz aus den Vierzigern. Man kann schlecht sagen, das oder das wäre jetzt Kunst und das nicht." Jon: "Letzlich muß man einen etwas größeren Blickwinkel haben. Ich glaube nicht, daß die Welt gerade in ihrer gefühlvollsten Phase lebt. Wenn ich den Fernseher anmache, empfinde ich einen gewissen Vibe. Ich sehe Leute, die ganz oben stehen wollen. Oft wirkt auch die Musik deswegen ziemlich gefühllos. Alles verändert sich sehr schnell. Das heißt natürlich nicht, daß solche Musik nicht gut sei. Weißt Du, in den USA sind die Leute ziemlich machtgeil. In den frühen Neunzigern war das noch anders. Heute dreht es sich aber um ganz andere Themen." Versuchst Du, den Leuten ihre Gefühle dadurch wiederzugeben, daß Du selber intime Gefühl thematisierst? Jon: "Da würde ich mir vielleicht zuviel anmaßen. Es ist halt einfach nur das, woran ich interessiert bin. Die Fehler, über die ich eben geredet habe, haben eigentlich wenig mit mir zu tun. Das ist einfach das Gefühl, das ich manchmal in dieser Welt bekomme." Vielleicht war es ein eher unbewußter Teil der Absicht. Steve: "Songs zu schreiben ist meist eine sehr selbstbezogene Sache. Du schilderst Dinge aus Deiner eigenen Perspektive und verarbeitest darin natürlich die Sachen, die um Dich herum vorsichgehen. Das ist auch die Art und Weise, wie Jon Songs schreibt." Justin: "Wenn Du Dir die Musik von Korn, Kid Rock oder Eminem anhörst, fühlst Du eine gewisse Stärke, die davon ausgeht. Wenn ein Kid so einen Song hört, fühlt es vielleicht eine gewisse Relevanz, und entwickelt einen Anreiz, etwas aus der eigenen Position zu machen. Das Leben besteht nun wirklich nicht nur darin, sich die Haare schneiden zu lassen und einen Anzug zu tragen. Manchmal muß man einfach aufgeweckt werden." Wenn ein guter Rocksong auf mehr als einer Ebene funktioniert, spürt man ihn im Magen und im Herzen. Jon: "Wir sind gerade auf Tour und stehen jeden Abend auf der Bühne. Da ist es schon toll, wenn man solche Reaktionen im Publikum sieht. Wir hatten nie so etwas wie eine große Fanbase. Trotzdem hat sich eine kleine, verschworene Gemeinde von Leuten gebildet, die unsere Musik verstehen und sie miteinander teilen. Diese Leute haben die Musik für sich entdeckt und wir haben das mit nur zwei Alben erreicht." Ist es denn genauso aufregend, wenn plötzlich der Schlagzeuger von Metallica kommt, und sagt, daß "Visual audio sensory theater" ihn beeindruckt habe? Jon: "Es war für mich wirklich eine riesige Überraschung. Ich hatte bis dahin kaum Anerkennung, was mich und meine Musik angeht, erlebt. In meiner eigenen Stadt wurde ich als Musiker vollkommen ohne Respekt behandelt. Jahrelang hat mich jeder für einen Witz gehalten. Als dann das Album herauskam, stellte das meine ganze Welt auf den Kopf. Wenn dein ganzes Leben lang kein einziges Mädchen in deiner Nähe sein will und plötzlich jeder angerannt kommt, kann dich das ganz schön verwirren." Text: Oliver Ding
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