"I wait, I wait, I wait" - als die famos aufspielenden Billy Talent am sonnigen Samstag des Hurricane-Festivals einen alten Fugazi-Klassiker in die feiernden Massen hinausschrien, konnte der Berichterstatter Ihres Vertrauens nicht anders, als sich an den vergangenen Tag zu erinnern. Warten. Endloses Warten. Auf das Ende des Staus. Auf das Auftauchen des Eichenrings. Auf eine Möglichkeit, die Zeit anzuhalten. Denn unerbittlich strichen die Zeiger der Uhr vorwärts. Die Pixies, Modest Mouse, Life Of Agony, Placebo - die Chance auf einen stimmungsvollen Auftakt des achten Hurricane im aufgeweichten Boden versunken wie ungezählte Autos, Zelte und Festivalgänger. Längst war es Nacht geworden im Scheeßeler Schlamm, und aus der Ferne grüßten David Bowie und Air. Mit Schlagern im Dutzend. Wenigstens der Mond bewahrte sein pietätvolles Schweigen.
Wie gut, daß die Festivalmacher zur Versöhnung für den verkorksten Freitag zur mittäglichen Samstagsstunde an Tomte gedacht hatten. Thees Uhlmann tröstete die zu Tröstenden, rockte die zu Rockenden und widmete einen Song der Tennis-Queen Martina Navratilova. Das machte Mut. Und Lust auf mehr. Und es kam mehr: The (International) Noise Conspiracy mit dem rotzigen Pop des neuen Albums. Die unwiderstehlichen Franz Ferdinand mit ausdrücklichem Tanzgebot. Und die im Sonnenschein badenden Wilco. Fraktale Gefühle und nervöse Gitarrensoli. Sowie ein zu den herüberwabernden Klängen von Monster Magnet moshender Jeff Tweedy. "Is this The Darkness over there?" Nein, nein. Aber Tweedys Gitarre lärmte ohnehin intensiver als sonst gar nichts.
Kein schlechter Zwischenstand. Und längst nicht alles, was das Hurricane zu bieten hatte. Denn wer den stumpf ins Leere poprockenden Donots und den lustlosen Bright Eyes mit einem stimmlich unpäßlichen Conor Oberst ausgewichen war, durfte P.J. Harvey in gräßlich pinken Strumpfhosen bejubeln, den Verstärkerentleibungen des Black Rebel Motorcycle Club lauschen oder den Mut zur vollendeten Pose bei den Hives feiern. Und dann noch einmal alle Kraft zusammen nehmen, um sich dem Weltuntergang entgegen zu stemmen, den The Cure mit kristallklarem Sound und konsequenter Depression aufziehen ließen. Gänsehaut galore. Auch unter weitgehender Vermeidung ihrer Hits.
Der Sonntag freute sich schon auf ein knarziges Hallowach von McLusky. Zur Hölle mit den guten Absichten und heraus mit dem Feedback. Mit besten Grüßen an die Pixies. The Bones buchstabierten ihren Rock'n'Roll danach ein wenig anders, und die Backyard Babies widmeten ihr "Making enemies is good" dem holländischen Fußball-Team. Doch erst die zügellosen Schweden von Mando Diao rockten den Eichenring mit aller Macht und einem Schellenkranz. Danach gab's geschlechterspezifische Unterhaltung: Während Ash ihren zuckerkranken Mädchen-Pop spielten, lenkte Marta Jandová speziell die Herren der Schöpfung von der mäßigen musikalischen Leistung von Die Happy ab. Da bedurfte es schon populistischer Mitgröhl-Spielchen, um daran zu erinnern, daß es auf dem Eichenring immer noch um Musik ging.
Wie auf Zuruf übernahm die Groove-Fraktion das Zepter. Fünf Sterne Deluxe kopfnickten "Die Leude", Gentleman ging mit musikalischen Rauchwaren hausieren, und die Beginner bekämpften die Anflüge von "Fäule", die sich im nur bedingt gewaschenen Festivalvolk breitmachten. Dann war Zeit für eine Legende: Cypress Hill ließen das Volk hüpfen und die Tüten schwingen. Doch nach Derbheiten wie "What's your number" oder "Rap superstar" vermasselte ein ausuferndes Percussion-Solo den Flow. Santana, oder was?
Schnell zur anderen Bühne. Da freuten sich die Beatsteaks über die brennende Luft und warfen immer noch mehr Briketts nach. "Hand in hand" durch den "Summer". Und zur stilsicher ausgewählten Manowar-Coverversion sprang MC Eisfeldt hinters Schlagzeug. Die Arme in die Luft und die Füße auf den Hinterkopf des Vordermanns. Von nordischer Unterkühltheit war nicht zu merken. Und somit war der Weg frei für die beiden deutschen Headliner des letzten Tages: Die Sportfreunde Stiller kamen erst über den Kampf zum Spiel. Nicht ohne einen kurzem Gruß an die zeitgleich spielenden Fantastischen Vier, die artig zurückwinkten. Mit Hochleistungsrap, fetter Band und einer großen Picknick-Ladung voll Hits. Knackige Neuzugänge wie "Ruf die Polizei" machten Appetit auf das demnächst erscheinende Album "Viel". Lecker, lecker. Und wer schnell genug ausgejubelt hatte, kam vielleicht sogar vor dem mitternächtlichen Regenguß nach Hause. Hurricane '04 - im Auge des Sturms.
Links:
Hurricane
Hurricane 2004 (Diskussion in unserem Forum)
Hurricane-Seite von Drum
Hurricane-Special bei Nightloop
Hurricane-Seite von ROW-People
Text: Oliver Ding
Fotos: Armin Linder, Pressefreigaben Hurricane Festival