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Special

"Ich seh' mich einfach als Thees Uhlmann"
Interview mit Thees Uhlmann

Thees Uhlmann

Das Immergut-Festival in Neustrelitz: Tomte haben an diesem Abend einen umjubelten Auftritt hingelegt. Nach dem Konzert der Weakerthans, das er sich unbedingt angucken mußte, hat Tomte-Sänger Thees Uhlmann, der nebenberuflich einer der drei Chefs seines eigenen Labels Grand Hotel van Cleef ist, endlich Ruhe für ein Interview. Zwischen welken Catering-Brötchen und leeren Bierflaschen sitzt er in einem alten Ledersessel in einer Art Bauwagen, und nachdem er sich eine Zigarette geschnorrt und alle Beteiligten mit Bier versorgt hat, fängt er an zu reden. Die Fragen stellt Lukas Heinser.

Es war ja eine einigermaßen mutige Entscheidung, das Kettcar-Album "Du und wieviel von Deinen Freunden" damals selbst herauszubringen. Haben damals Leute versucht, Euch davon abzuhalten und was habt Ihr mit denen gemacht?

"Der Mut fällt einem ehrlich gesagt erst im Nachhinein auf. Die Platte sollte ja erst auf einem Major rauskommen, aber es hat dann keiner gemacht. Die haben alle gesagt: 'Klar, cool, geil' und dann 'Ach nee, doch nicht.' Die Not war quasi der Grund für die Label-Bildung, weil wir die Platte ja schon aufgenommen und fertiggestellt hatten. Reingeredet hat uns eigentlich keiner, wir reden uns ja nicht selber rein.

Interessant war dann, zu sehen, daß, als die ersten Stories in der Visions und in der Spex da waren, in einer Woche gleich drei Major-Labels angerufen und gefragt haben: 'Können wir nicht doch irgendwie zusammenarbeiten?' Und das war dann schon eine große Genugtuung, weil ich wußte - das können Kettcar natürlich nicht wissen -, daß das eine wahnsinnig gute Platte ist. Und wenn man so 'ne Scheiße reden will als Labelboß: Ich wußte auch, daß für so 'ne Platte ein Markt da ist. Ich wußte, daß Leute auf eine Platte gewartet haben, die so hoffnungsvoll und aufhebend ist. Deswegen hab ich das eigentlich nie als Mut begriffen, sondern 'Geil, machen wir 'n Label!' Und das war dann natürlich der Wahnsinn, als wir damit angefangen haben."

Nach welchen Kriterien signt Ihr neue Bands?

"Wir signen Bands einfach danach, ob Marcus, Reimer und mir die gefallen."

Und die Entscheidungen trefft Ihr ...?

"Zusammen, ja."

Wie weit hat der Umstand, daß Ihr selbst Musiker seid, auf Eure Arbeitsweise und Entscheidungen Einfluß? Ist das irgendwie etwas besonderes, weil Ihr selbst Musiker seid?

"Ich weiß es nicht wirklich, aber ich glaube, daß es schon großen Einfluß hat. Einfach dadurch, daß wir wissen, wie Musiker sind und was sie wollen. Wie Musiker auch auf Geld angewiesen sind. Bei Musik kommt wesentlich weniger rum als man denkt: Es gibt ganz viele Bands, die leben einfach nur von ihren Auftritten und gar nicht von ihren Plattenverkäufen. Und wir versuchen schon, daß die Bands auch ein bißchen was von den Plattenverkäufen abbekommen. Was für das Label schwierig ist, aber auch zeigen soll: 'Ey, wir wissen, wie das läuft.' Das ist wohl der Hauptpunkt."

Seht Ihr Euch denn eher als Labelchefs, Musiker oder gar als Fans?

"Ich weiß nicht. Ich seh' mich ehrlich gesagt einfach als Thees Uhlmann. Weil ich so viel mache, das aber auch immer mit dem gleichen Geist mache, mit der gleichen Seele. Zum Beispiel, wenn ich über Kettcar rede, sag ich auch immer 'wir'. Ich glaub, ich hab noch nie 'die' gesagt."

Hattet Ihr schon mal das Verlangen, alles hinschmeißen zu wollen? Und warum dann?

"Ich wollt noch nie alles hinschmeißen, aber ich habe 2004 gemerkt, auch im Rahmen meiner neuen Beziehung, daß ich 2003 eine ganze Menge gemacht hab. Ich weiß das nicht wirklich, aber es könnte sein, daß ich irgendwie ein Burn-out-Syndrom hatte, weil ich drei, vier Jahre einfach durchgearbeitet habe. Weil es mir am wichtigsten war. Es ist mir immer noch am wichtigsten, aber ich habe vielleicht ein gesunderes Verhältnis zu mir und zu meiner Arbeit gefunden. Hinschmeißen wollte ich nicht, aber es hat teilweise Formen angenommen, wo Du sagst: 'Ich arbeite zuviel.' Und dann war da am Schluß immer noch die emotionale Belastung, weil es auch unsere Sache ist."

Wie motivierst Du Dich dann, wenn Du irgendwie einen Durchhänger hast?

"Ich will da nicht über mich nachdenken. Weißt Du, das kommt einfach so. Wenn man mit Marcus Wiebusch, Simon Rass und Reimer Bustorff in einem Büro zusammenarbeitet, ist man genug motiviert. Es ist einfach wunderschön, da zu arbeiten."

Tomte

Eure Texte werden immer wieder gern zitiert in Tagebucheinträgen und beinahe jeder Art von Artikeln. Sie sind fast schon Allgemeingut geworden, denn es scheint so, als ob diese Floskeln den Leuten aus der Seele sprächen. Wie entstehen solche Texte?

"Ich denke nicht zu viel über meine Texte nach, die entstehen im Endeffekt einfach so. Ich schreibe meine eigenen Texte, seit ich 14 bin, und ich denke, da baut man auch ein gesundes Verhältnis zu seiner eigenen Lyrik auf. Da sagt man dann: 'Hey, das ist scheiße' und 'Das ist gut.' Ich frage mich das ja selber auch, wenn ich so ein Konzert spiele wie heute und dann echt 500 Leute sehe, die das mitsingen. Dann bin ich deren Stimme und nehme das auch wahr. Ich find das ja auch geil, daß ich deren Stimme bin. Ich bin ja dann nicht so indie-mäßig 'Joa, ich hab hier meine Songs gemacht', sondern nehme wahr, daß ich für Leute spreche und finde das gut. Ich nehme dann aber auch die Verantwortung wahr, die es bedeutet, für diese Leute zu sprechen. Da ist dann irgendwie schon die Unschuld, weil ich das ja wirklich auch für mich aufschreibe. Meine Gedanken und das, was ich mir überlege. Zum großen Zusammenhang der Welt und so. Im Endeffekt kann ich vielleicht auch gar nichts zu den Texten sagen. Die entstehen halt bei mir zuhause am Computer."

Schreibst Du zuerst die Texte und dann die Musik, oder ...?

"Alles kreuz und quer."

Wie beurteilst Du diese "Neueste Deutsche Welle" - oder wie auch immer man das nennen will - mit Wir Sind Helden, Virginia Jetzt!, den Sportfreunden Stiller, Euch ...

"Ich mein, ich bin da mitten drin, aber ich hab da nichts mit zu tun. Dafür mach ich das schon zu lange. Ich mache Tomte schon seit acht Jahren und auch in einer Form, wo ich auch eine Stringenz erkennen kann. Ich hab schon diese Musik gemacht, als Tocotronic am berühmtesten waren, und mache genau das selbe, jetzt, wo Wir Sind Helden populär sind. Deswegen hab ich damit emotional nichts zu tun. Die Medienwahrnehmung ist natürlich eine andere, das ist mir schon klar."

Wie erklärst Du Dir diesen Trend, daß jetzt so viele deutschsprachige Bands Erfolg haben?

"Kann ich nicht erklären. Also Wir Sind Helden, das ist halt 'ne tolle Band. Wir haben vorgestern in Hamburg mit denen zusammengespielt, und ich freue mich total für die. Das ist jetzt nicht meine Lieblingsband, aber ich gucke mir die gerne an. Irgendwie fühle ich mich mit denen schon verbunden, ehrlich gesagt. Aber es nervt mich halt, daß es immer eine Welle ist und daß es nicht normal sein soll, wenn manche Bands Englisch singen und manche Deutsch singen. Uns gibt's echt schon lange, und jetzt ist das irgendwie so 'n Modetrend. Da muß ich ja Angst haben, daß ich in zwei Jahren nicht mehr den Erfolg habe wie heute, weil der Trend dann zu Ende ist. Weil die Leute einfach 'ne komische Beziehung zu der eigenen Sprache haben, was ja auch klar ist.

Wenn manche Leute nicht irgendwie Gas geben würden von wegen 'Deutschland ist kein Problem mehr', so wie Mia, dann könnte man vielleicht irgendwann mal sagen: 'Hey, ich singe deutsch, Du singst englisch. Scheißegal, fertig, aus!' Nur manche müssen halt vorpreschen mit 'Berlin ist zur Zeit die Hauptstadt der Welt, und es ist kein Problem mehr, Deutscher zu sein.' Das nervt mich dann einfach. Ich singe deshalb Deutsch, weil ich mich da besser ausdrücken kann und weil ich härtere Aussagen treffen kann."

Meinst Du, daß deutschsprachige Bands so viel Erfolg haben, weil sich die Leute viel eher in den Texten wiederfinden, weil die einfacher zu verstehen sind?

"Ich glaube, bei Wir Sind Helden finden die Leute das schon toll, diesen Gestus, den die Band umgibt: Dieser Verzicht auf Konsum oder den anderen Umgang mit Konsum. Und die schreiben ja auch wirklich gute Texte. Ich glaube, ich weiß, warum Leute Tomte gut finden. Das kann ich Dir echt alles haargenau erklären. Aber bei anderen Bands habe ich da nicht wirklich darüber nachgedacht. Ich will auch ehrlich gesagt nicht zu viel über Mia nachdenken.

Bei Tomte aber kann ich das alles erklären. Die Leute haben einen Bezug dazu. Wenn das Wort 'Krebs' gesungen wird, dann wissen die genau, was Sache ist. Der Vater von einem Schulkollegen ist an Krebs gestorben oder so, und das sind halt Vokabeln, die hast Du einfach immer im Kopf. Wenn die dann gesungen werden, dann ist das da. Wenn ich auf Englisch 'cancer' singen würde - Jonas haben mal gesungen 'Eat my cancer' -, dann ist es halt abstrakt, aber wenn Du 'Krebs' singst, dann ist das etwas Konkretes. Das sind ja nicht nur die fünf Buchstaben oder das Wort, sondern es ist ja mit dem Wort quasi der gesamte Erlebnishorizont des Wortes präsent. Wenn Deine Großcousine zu Dir sagt, 'Ach so, ich habe Krebs', verändert das ja alles innerhalb von einer Sekunde. Das ist vielleicht auch einfach bei mir so gewesen, als ich gehört hab, daß jemand Krebs hatte."

Thees Uhlmann

Bleiben wir mal kurz bei den traurigen Themen: Nach dem "Monsters of Rocco", dem Benefizkonzert zu Gunsten der Kinder des verstorbenen Musikjournalisten Rocco Clein, gab es bei uns im Forum ein paar Leute, die etwas im Sinne von "In Afrika verhungern die Kinder, und wenn Rocco im Fernsehen war, dann werden seine Kinder schon genug haben nach seinem Tod" geschrieben haben. Wie würdest Du das als direkt Beteiligter klarstellen wollen? Was würdest Du diesen Leuten sagen?

"Ich hab einen persönlichen Bezug dazu. Mir ist das klar, daß es Leuten im Sudan und eigentlich auf der ganzen Welt schlechter geht, als es Roccos Kindern jemals schlecht gehen wird. Aber ich hatte einnen ganz persönlichen Bezug zu Rocco. Das war mein Freund. Ich habe noch eine SMS von ihm im Handy. Menschen funktionieren so. Sie mögen das, mit dem sie zu tun haben oder hatten. Warum ist einem das World Trade Center näher, als wenn irgendwo in Ruanda 120.000 Menschen innerhalb von 90 Tagen abgemordet werden? Weil Ruanda abstrakt ist. In Amerika war jeder schon mal. Und wenn er nicht da war, dann kennt er jemanden, der da war. So funktionieren Menschen. Und das ist schlimm oder egal oder gut, aber das ist einfach so.

Rocco hat viel für unsere Band getan, und das war halt mein Weg, etwas für seine Kinder zu tun. Das ist meine Art. Wahrscheinlich auch irgendwie egoistisch, aber jeder ist egoistisch. Sich über so etwas aufzuregen, ist häufig Jugendlichkeit. Das ist diese unbestimmte Wut gegen alles, was einen umgibt. Ich weiß noch, wie ich mit 16 oder 17 mal mit meinen Eltern in Amerika, in Los Angeles, war. Wir sind essen gegangen, und da hat ein Typ vor dem Restaurant gebettelt. Ich wollte nichts bestellen, weil ich irgendwie dachte: 'Ich kann das nicht ertragen, jetzt hier zu bestellen, und der da draußen hat Hunger.' Da ist man 17, und mit 30 ist das nicht mehr so. Ich weiß nicht, was passiert, aber es ist einfach so. Da können sich jetzt 19jährige im Forum drüber aufregen, aber das Leben verändert sich einfach: Man wird anders, wenn man älter wird. Wenn Roccos Kinder jetzt alles cool haben, dadurch daß ein paar Bands gespielt haben, dann ist das super. Ich hätte ja auch lieber anonym Geld gespendet, aber ich habe dieses Geld einfach nicht. Das ist auch immer schwierig, diese Mischung aus Promotion und kein Geld. Aber was soll ich anderes machen?"

Ich war nur am zweiten Abend da, aber ich fand es ganz große klasse. Es war eine merkwürdige Stimmung, aber trotzdem richtig schön. Als "Live forever" kam oder Eure Lieder, die ja auch teilweise vom Text paßten, habe ich einen echten Kloß im Hals gehabt.

"Ich hab mich auch an dem Abend ganz besonders gefreut, daß ich bei Tomte mitspielen kann. Weil ich fand, daß das eine würdige Band war, um da zu spielen. Ich fand die Stimmung schaurig-schön, ehrlich gesagt. Aber so ist das ja manchmal auch."

Oasis - (What's the story) Morning glory?

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The Weakerthans - Reconstruction site

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DJ Danger Mouse - Grey album

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Modest Mouse - Lonesome crowded west

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Morrissey - Vauxhall and I

Morrissey - Vauxhall and I

Wo wir gerade bei "Live forever" waren: Wir fragen die Bands immer nach ihren Lieblingsplatten. Könntest Du da einfach mal ein paar nennen?

"Oasis. '(What's the story) Morning glory'? Weakerthans - Alles, wirklich alles. Aktuell: DJ Danger Mouse - 'Grey album', also die Mischung aus Jay-Z und Beatles, 'Black album' und 'White album'. Modest Mouse, die zweite Platte. 'Alone in the crowded west' oder wie die heißt. Und Morrisseys 'Vauxhall and I'."

Ich würde Dich gern noch etwas zur Hansen Band fragen. Das ist ja auch ein ganz interessantes Projekt bei Euch, mit dem Schauspieler Jürgen Vogel. Was kannst Du uns da über die Band und über den Film erzählen?

"Jürgen Vogel ist ein Spitzentyp, die Songs sind super und es ist lustig, nach 16 Jahren in einer Band einfach nur Gitarre zu spielen. Es ist wahnsinnig anstrengend, einen Film zu drehen. Ich will nie wieder in meinem Leben einen Film drehen, aber es hat Spaß gemacht, das zu machen."

Es wird dazu eine Platte geben, oder?

"Es wird 'ne Platte geben, ja. Max von Tomte hat Lieder geschrieben, ich hab zwei Lieder geschrieben, Marcus Wiebusch hat Lieder geschrieben. Das wird so ein Mischmasch aus allem. Das bringt Bock, und ich hasse es, darüber zu reden. Ich weiß noch nicht mal warum. Aber es ist so, weil's auch so viel Raum in meinem Hirn einnimmt. Aber ich glaube an den Regisseur, und ich glaube, das wird 'ne gute Sache. Ich glaube, es ist auch gut, so eine Dokumentation zu machen, weil es mehr Tomte und Kettcar ist, ohne daß es auftaucht."

Eines interessiert unsere Leser und mich jetzt natürlich besonders: Wie sieht es aus mit einem neuen Tomte-Album?

"In einem Jahr ist es da, hoffe ich. Es ist nicht leicht, mit dem Songschreiben anzufangen, nach einer Platte wie 'Hinter all diesen Fenstern', aber das war bei 'Eine sonnige Nacht' genauso. Da hab ich auch Zeit gebraucht. Ich mußte echt - wenn man wieder so einen ekelhaften Ausdruck benutzt - eine Kampagne erst zu Ende fahren, bevor ich mich wieder neu orientieren konnte. Es hat sich auch viel in meinem Leben geändert. Zum Beispiel: Ich habe Sachen erreicht, die ich mir immer erträumt hab. Ich bin ja auch bei der letzten Platte die Treppen ins Studio hochgegangen und habe gedacht: 'Hoffentlich wird die so gut wie die letzte, hoffentlich wird die so gut wie die letzte...' Da muß man vieles erst mal richtig verpacken. Es ist halt viel passiert: Guck Dir das Konzert heute Abend an. Guck Dir das an, und stell Dir dann mal vor, Du stehst auf der Bühne und guckst Dir das an. Das ist schon 'ne wahnsinnige Sache. Aber früher hab ich solche Sachen halt mit Alkohol gelöst, und heute löse ich die mit mir selber. Das arbeitet alles in meinem Kopf. Mein Hund ist überfahren worden - das sind doch bestimmt drei Lieder oder so was."

Text: Lukas Heinser
Fotos: Pressefreigaben
Livefoto: Martina Drignat

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Rezensionen:
Tomte - Hinter all diesen Fenstern Tomte - Eine sonnige Nacht