Ganz alleine war er bei den Aufnahmesessions zu "Rockin' the suburbs", und doch sind diesem nicht die leisesten Anzeichen für Einsamkeit zu entnehmen. Stattdessen knüpft Ben Folds' zweites Soloalbum (das erste nach dem Split seiner Band Ben Folds Five) mit Schirm, Charme und Melodie genau da an, wo das letzte Bandalbum "The unauthorized biography of Reinhold Messner" aufgehört hat. Gleich im Dutzend spinnt Folds darauf außergewöhnliche Geschichten, die nicht nur durch feinsinnigen Humor, sondern vor allem auch noch durch eine gehörige Portion Eloquenz glänzen. Die besten Voraussetzungen also, um den Amerikaner, der in Australien lebt und doch britischer klingt als jeder Brite, auf augenzwinkernde Weise gehörig durch die Mangel zu nehmen und auch auf einige ernsthaftere Themen zu sprechen zu kommen.
Das Gespräch führte Armin Linder.
Wo bist Du gerade? In den USA oder zuhause in Australien?
"In Kanada."
Im Büro Deiner Plattenfirma Epic?
"Nein, im Tourbus. Auf dem Parkplatz in der Nähe eines Hotels. Ich gehe gerade ins Hotel, während wir sprechen."
Laß uns zuerst über die Auflösung Deiner Band Ben Folds Five sprechen. Was waren die Gründe dafür? War es lediglich eine Frage der Distanz zwischen Australien und den USA?
"Es gab eine Menge Dinge. Aber im Grunde hatten wir es vor allem irgendwie satt. Es ist ziemlich einengend, über so lange Zeit mit denselben Leuten zusammenzuspielen und Entscheidungen zu teilen. Wir wollten uns weiterentwickeln. Aber wir sind immer noch Freunde und verstehen uns gut."
Du stehst also immer noch in Kontakt mit Robert und Darren und arbeitest mit ihnen zusammen?
"Ja, ich spreche gelegentlich mit ihnen. Aber ich bin wirklich beschäftigt und sie auch, und wir haben so lange so viel Zeit miteinander verbracht, daß wir jetzt nicht gerade darauf versessen sind, zusammen rumzuhängen. Aber wir telefonieren immer mal wieder."
Wann war es denn endgültig, daß Ihr Euch auflöst?
"Im August letzten Jahres haben wir entschieden, die Band an den Nagel zu hängen."
Aber es gab keine bestimmten Gründe?
"Wir konnten uns nicht mal richtig für einen Produzenten oder ein Studio einigen. Zum Schluß haben wir uns dann gedacht: Wenn es uns schon so schwer fällt, uns auf ein Studio zu einigen, würden wir es noch schwerer damit haben, zu entscheiden, was wir spielen und aufnehmen werden. Es schien sogar ziemlich unmöglich. Als wir uns dann auflösten oder darüber nachdachten, brannten wir alle darauf, alleine ins Studio zu gehen und fühlten uns alle sehr frei."
Also hast Du Deine kreative Freiheit genossen, als Du solo aufgenommen hast?
" mehr verständigen mußt, bevor Du Dich verwirklichst, sondern es einfach tun kannst und niemandem etwas erklären mußt."
Hast Du niemanden vermißt, mit dem Du Deine Ideen gemeinsam umsetzen oder darüber sprechen kannst?
"Diesmal meistens nicht. Ich habe es wirklich genossen, endlich aus dem Bauch heraus zu arbeiten. Ich rannte einfach von Instrument zu Instrument und spielte drauflos."
Wie viele verschiedenen Instrumente hast Du auf dem Album gespielt?
"Ich habe alle Drums gespielt, Klavier, Gitarre, die Keyboards, Stimmen, gelegentlich auch andere Dinge wie Melodica."
(Fragt unterwegs nach dem Weg zum Hotel)
Laß uns über die Texte sprechen. Inwieweit sind die Personen, über die Du singst, erfunden oder real?
"Die meisten meiner Songs haben einen realen Ursprung. Etwas, das mir etwas bedeutet. Und dann benutze ich immer meine Vorstellungskraft, um es für die anderen greifbarer zu machen. Manchmal passiert Dir etwas, das für Dich sehr bedeutsam ist. Wenn Du jedoch versuchst, es jemandem zu erklären, erscheint es trotzdem nicht allzu beeindruckend. Aber wenn Du Dich ausgiebig genug darüber ausläßt und ein kleines bißchen dazuerfindest und übertreibst, können die anderen es in der Weise nachfühlen, wie Du es erlebt hast."
Es gibt also wirklich eine Annie, einen Zak, eine Sara...
"Ja, Annie zum Beispiel basiert auf einer Freundin von mir. Und dann dachte ich, daß viele andere Menschen sind wie sie und habe es auf andere Leute übertragen."
Das heißt, Du nimmst grundsätzlich Dir bekannte Menschen als eine Art Vorbild für Deine Figuren.
"Ja, ich habe schon öfter über das nachgedacht. Aber es ist sehr schwierig, den Prozeß zu beschreiben. Die Musik ist zuerst da, und dann habe ich im Kopf dieses 'Annie waits for the last time' (leiert) und ich denke: Was könnte das bedeuten? Und dann denke ich darüber nach und denke: Ah, das ist Jane! Das ist völlig Jane! Und dann beginne ich, mich darüber auszulassen."
Aber Du änderst die Namen der Personen dann schon?
"Ja, normalerweise."
Die meisten anderen Künstler schreiben Songs über ihre eigenen Gefühle. Du scheinst es dagegen vorzuziehen, über andere Menschen und deren Gefühle zu singen. Denkst Du, das ist auch eine Möglichkeit für Dich, die Hörer auf Distanz zu halten und nicht zu viel über Dich preiszugeben?
"Ich denke, auf diese Weise gibst Du sogar noch mehr von Dir preis, weil es dadurch gleich mehrere Ebenen gibt. Du offenbarst eine Menge von Dir selbst, wenn Du Dich über andere Leute äußerst. Manchmal wird es einfach ermüdend, ständig nur über sich selbst zu reden. Wenn Du ein Interview mit mir machst, habe ich eigentlich nicht wirklich Lust, über meine Person zu sprechen.
Ich tendiere eher dazu, über die Dinge zu schreiben, über die ich nachdenke. In dieser Hinsicht dreht es sich mehr um mich selbst, als wenn ich jetzt eine Art introspektiver Singer-Songwriter wäre, der alle Texte über sich selbst schreibt. Aber es gab zuvor ein Album, das sich vollständig um mich, mich und wieder mich drehte und das habe ich jetzt wirklich satt."
Denkst Du, Deine Art, das Leben einer einzigen Person in einem Song darzustellen und eine Art Pop-Biographie zu entwerfen, bezieht sich in irgendeiner Weise auf die Beatles und deren 'Eleanor Rigby'?
"Ja, könnte sein. Aber vielleicht hat es auch genausoviel mit Johnny Cash zu tun wie mit den Beatles. Er ist eine Institution, wenn es darum geht, beim Songschreiben als Geschichtenerzähler zu fungieren und eine Charakterstudie zu entwerfen. Es gibt heute nicht mehr viele Band, die über andere Charakter singen, aber es macht mir eine Menge Spaß, das zu tun. Zumindest mag ich es im Moment, vielleicht geht es auf dem nächsten Album wieder mehr um mich, mich und wieder mich und meinen eigenen Schmerz. Aber diesmal wollte ich mich eher anderen Menschen zuwenden."
Du siehst Dich also mehr in der Tradition von Geschichtenerzählern wie Dylan oder Cash?
"Nun... wenn es wirklich so etwas wie eine Songwriting-Schule geben wäre, würde ich am liebsten von der Randy Newman-Schule kommen."
Aber Du würdest Dich nicht als 'Geschichtenerzähler' bezeichnen?
"Als 'abgedrehten Geschichtenerzähler' wohl eher. Deswegen sprach ich auch von Randy Newman, weil in seinen Geschichten immer irgendwas nicht stimmt."
Du siehst Dich also eher als Geschichtenerzähler als als 'Piano man'. Du magst den Ausdruck nicht, oder?
"Ich sehe mich ein kleines bißchen als beides an. Ich war nie darauf versessen, auf diese Weise meine Nische, meinen Platz zu finden. Ich spiele nun mal Klavier und steckte dadurch schon immer in der Patsche. Ich denke, ich fühle mich auch ein wenig als Songwriter, aber auch ein wenig als Drummer. Ich bin einfach nur Musiker."
Wem möchtest Du mit dem Titelsong Deines Albums einen Seitenhieb versetzen? Zusammen mit dem Videoclip scheint es eine Art ironische Bestandsaufnahme über die gegenwärtige Musikszene zu sein?
"Ja, genau. Es geht um die Gattung der 'angepißten Weißen'. Das ist einfach nur saukomisch für mich. Ich kann es nicht genau erklären, aber finde es einfach lustig, daß es ganze Radiosender und Plattenfirmen, Bands und Geld nur für Bands gibt, die mächtig böse sind. Das finde ich lustig."
Heißt das, daß Du auch die gesamte Bewegung verabscheust, die auf den Namen 'New Rock' hört?
"Nein, ich denke, das ist in Ordnung. Ich muß nur einfach darüber lachen, obwohl ich denke, daß es schon gute Musik ist. Ich finde Linkin Park großartig, Rage Of The Machine sind absolut eine meiner Lieblingsbands. Wen noch in der Richtung? Alles reicht zurück bis zu Deep Purple. Ich mag harte Musik wirklich und finde, sie macht wirklich Spaß."
Aber es gibt auch eine Menge gesichtsloser Bands...
"Ja, es gibt eine Menge Scheiße darunter. In jedem Genre gibt es nun mal Schrott. Ich finde es einfach nur lustig, daß es ein Genre der 'angepißten Weißen' gibt."
Wie würdest Du Dich dann selbst nennen? Bist Du kein angepißter Weißer?
"Ich hoffe einfach nur, daß ich mich selbst nicht so sehr verkaufe. Sie sind einfach nur eine große Marketingmaschine, diese Leute. Sie wissen natürlich, daß ihre Nische die der 'angepißten Weißen' ist und sie ihr Schema F haben und sie davon nie abweichen. Ich denke nur, daß das ein wenig einseitig ist. Stevie Wonder könnte Dir einiges darüber erzählen. Er weiß, daß es Freude im Leben gibt und dabei ist er als Amerikaner sowohl schwarz als auch blind. Und er schreibt manchmal fröhliche Musik und manchmal auch wütende Musik. Und manchmal auch traurige. Er drückt in seiner Musik alle verschiedenen Stimmungen aus, anstatt sich nur einen Aspekt rauszupicken wie 'Ich bin angepißt' und darauf seine ganze Karriere aufbaut. Ich finde das seltsam, obwohl auch eine Menge großartige Musik dabei herauskommt. Wirklich tolles Zeug. Und ich habe eine Menge daraus gelernt. Schon alleine dadurch, daß ich mich darüber lustig gemacht habe, habe ich eine Menge daraus gelernt."
Gibt es denn irgendwelche aktuellen Platten, die Dir gefallen haben?
"Letztes Jahr gefiel mir das Coldplay-Album richtig gut, ich mag das Weezer-Album und das Cake-Album und... was noch... wie heißt das Mädchen noch gleich? Scheiße, ich kann mich an ihren Namen nicht erinnern. Die Country-Sängerin aus Australien... Kasey Chambers."
Oh. Ich befürchtete schon, Du sprichst von Kylie Minogue... aber die macht wohl nicht wirklich Country.
"(lacht) Ja, Kylie Minogue. Ich mag Kylie."
Kennst Du Kylie denn?
"Sie ist eine gute Freundin von Bekannten von mir. Ich höre ihren Namen ständig, aber ich habe sie noch nie getroffen."
Hörst Du Dir eigentlich auch Dein eigenes Album an?
"Nicht zum Spaß. (lacht) Ich mache das nur, wenn ich geschäftlich damit zu tun habe. So in der Art: 'Hört hier mal zu, Jungs. Ist das nicht gut? Hört es Euch an.' Oder aber wenn ich mich selbst davon überzeugen möchte, daß es gut ist. Aber ich höre es nicht wirklich an, um es zu genießen."
Aber diese Kylie-Sache scheint 'down under' in Australien eine Art Running Gag zu sein?
"Oh ja, sie ist schon eine Institution und so. Aber nach allem, was ich über sie gehört habe, ist sie eine wirklich coole Person, die auch von einer Menge Künstler respektiert wird, weil sie gute Musik zu schätzen weiß. Was sie selbst spielt, ist Kinderkacke, und das ist cool!"
Eine ernsthaftere Frage: Nach der Terror-Katastrophe in New York hast Du mit der Tour nur für einen Tag ausgesetzt und dann weitergemacht. Wie denkst Du über die ganze Katastrophe und wie Musiker darauf hätten reagieren sollen?
"Es läuft alles darauf hinaus, daß nun mal jeder verschieden ist und entsprechend damit umgeht. Für mich persönlich war es erstaunlich. Unsere Generation hat schließlich noch nie etwas von diesem Ausmaße gesehen. Ich war in Washington DC, als es passiert ist, vielleicht eine Meile vom Pentagon entfernt. Und die Leute, die danach zu unseren Shows gekommen sind, waren oft Leute, die vom World Trade Center weggerannt sind, als es zusammenstürzte. Ich kannte Menschen in den Flugzeugen sehr gut. Es waren zum Glück keine sehr nahen Bekannten oder Familienmitglieder von mir drin, aber jeder hier ist sehr bewegt hier. Es ist das erste Mal in meinem ganzen Leben, daß die Vereinigten Staaten zu einer großen Gemeinschaft wurden. Von einem Moment auf den anderen haben alle Leute festgestellt, daß sie so etwas wie Nachbarn und so haben. Es war wirklich bizarr. Die Leute waren auf einmal nett zueinander in den Straßen, halfen einander und jeder versuchte zu helfen, wo er kann. Manche Menschen spendeten Blut, andere Geld. Jeder machte das, was er am besten kann. Und mein eigener persönlicher Beitrag war es eben, eineinhalb Stunden meine Musik zu spielen, damit die Leute ihre Probleme vergessen können. Wenn ich jetzt Limp Bizkit wäre, wäre es vielleicht keine gute Idee gewesen zu spielen, weil es in dieser Zeit vielleicht nicht die richtige Musik gewesen wäre. Was diese Leute gemacht haben, war es eben, eine kleine Pause einzulegen und Blut zu spenden oder so. Sie haben bestimmt etwas in der Art getan, jeder hat irgendwas getan."
Du denkst also, es gab keine richtigen oder falschen Entscheidungen für einen Musiker?
"Das hängt ganz davon ab. Ich weiß nun mal, daß ich mit meiner Musik, die grundsätzlich positiv eingestellt ist, für die Leute eine Hilfe bedeuten kann. Wir haben am Abend darauf eine Show gespielt und waren uns unserer Sache nicht ganz sicher. Hinterher habe ich dann mit einigen Zuschauern gesprochen, die uns wirklich dankbar waren, daß wir gespielt haben. 'Ich bin so froh, daß Ihr gespielt habt. Ich mußte mich unbedingt eine Weile von allem ablenken, was passiert ist.' Und danach habe ich mich dann entschieden, alle Shows zu spielen, weil es hilfreich ist."
Aber es hängt wohl auch von der Art von Musik ab, die man macht. Manche kritisierten Linkin Park dafür, am Abend danach eine Show gespielt zu haben und alle Kiddies gehüpft sind, als ob nichts gewesen wäre.
"Das stimmt. Wenn Du diese Art von Musik machst, die wirklich hart und düster ist..."
Ich meine, man kann schließlich am Abend danach keine Party feiern, nach allem, was geschehen ist.
"Natürlich. Wie kann man nur eine Party feiern? Aber diese Art von Musik wirft auch mit Bilder von Tod und wirklich verächtlichen Dingen um sich. Und ich denke, daß es okay ist, das zu tun. Aber nach allem, was passiert ist, hätte ich am Tag danach diese Art von Musik nicht hören wollen. Wenn man jemanden Dinge singen hört wie 'Yeah! Destruction!' (shoutet übermütig). Als das geschrieben wurde, waren es einfach nur Worte. Und jetzt ist es wahr geworden. Manche haben da erst angefangen, darüber nachzudenken, was sie denn da geschrieben haben. Vor einem Monat war es in den Vereinigten Staaten noch normal, über Dinge wie Tod und Zerstörung zu singen, aber jetzt heißt es natürlich: 'Moment mal... das ist real.' Jetzt sind die Leute wirklich sehr gerührt und bewegt, als ob wir im Mittleren Osten leben."
Angeblich soll es ja auch unter den Radiostationen eine Liste gegeben haben mit Songs, die nicht gespielt werden sollen...
"Aber das war wohl erfunden, nur ein Gerücht. Es gab eine Liste, die von jemandem, der bei einem kleinen Sender, 'Clear Channel Network' arbeitet, als eine Art Empfehlung verschickt wurde. Niemand hat sich danach Liste wirklich gerichtet."
Wie denkst Du über das Internet und diese ganze Napster-Sache? Siehst Du das eher positiv oder negativ?
"Diese Sache ist sehr extrem, auf beiden Seiten. Es gibt eine große Verbundenheit, aber andererseits ist das Internet auch nicht natürlich. Es gibt wirklich gute Aspekte, aber auch wirklich schlechte. Für Musiker ist es oft gut, damit sich Neuigkeiten rumsprechen. Aber manchmal fühlen sich die Leute der Musik auch zu nah. Es kursiert eine Menge Bullshit, und manche Leute glauben das. Es gibt auch sehr viele Menschen, die süchtig nach dem Internet sind. Es ist ein süchtigmachender, hypnotischer und wirklich seltsamer Ort, um abzuhängen. Ich bin ein wenig verängstigt davon, aber denke auch, daß es eine wirklich gute Sache ist."
Du benutzt es auch, um mit Deinen Fans in Kontakt zu bleiben und ungefilterte Information zu verbreiten?
"Ja, das ist großartig. Ich liebe es, E-Mails zu lesen und auf diese Weise zu kommunizieren. Ich telefoniere nicht so gerne, und das ist eine fast noch bessere Möglichkeit."
Letzte Frage für heute: Hast Du vor, für ein paar Gigs nach Deutschland zu kommen?
"Wir wollten im Februar rüberkommen. Es ist aber auch eine Frage des Geldes. Wenn es finanziell machbar ist, im Februar nach Europa zu kommen, werden wir es tun."
Text: Armin Linder