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Amewu - Leidkultur

Amewu- Leidkultur

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VÖ: 15.06.2012

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Wider das zynische Ich

Der deutsche HipHop wurde ja schon des Öfteren zum dahinsiechenden Patienten erklärt, der irgendwann von homophoben Gangsta-Rappern und verbalen Taugenichtsen à la Eko Fresh zu Grabe getragen wurde. Hin und wieder ist dann von Wiederbelebung die Rede, so zum Beispiel beim letztjährigen Casper-Hype. Wesentlichen Anteil an derlei Reanimationsversuchen könnte auch das vorliegende Album von Amewu haben. Der Berliner widmet sich auf seinem Zweitwerk konsequent dem Leiden. Trennungsschmerz statt Bling-Bling. Selbstreflektion anstelle von Punchline-Phrasen. Themen, die schwerer im Magen liegen als jede Weihnachtsgans.

Vermutlich haben wir Euch dieses Album auch deswegen bisher vorenthalten. Weil es keine sommerliche Baggerseebeschallungsmusik ist, sondern eher der Soundtrack, um bei winterlichen Bahnfahrten nachdenklich aus dem Fenster zu schauen. Schon der erste Track macht klar, wo diese Gedankenreise hingehen wird. "Diese Welt ist wie ein Taser, der mir Schläge in den Kopf pumpt." Selbstkritische Beobachtungen weiten sich im Laufe des Liedes zur Absage an ein unsoziales Wirtschaftssystem und den Raubbau an der Natur aus. Harmonisch ist hier, wie in den meisten Tracks, nur die Art und Weise, wie sich die Stimme an den sample-lastigen Beat schmiegt.

Zu welcher Zungenakrobatik Amewu fähig ist, wird ebenfalls schnell deutlich. Doch wo man bei früheren Werken mehrmals nachblättern musste, was er einem eigentlich gerade textlich serviert hatte, drosselt er auf "Leidkultur" das Tempo, um seinen Inhalten mehr Luft zum Atmen zu geben. So rechnet er in "Fortschritt" mit dem Höherschnellerweiter unserer Gesellschaft ab oder steigt im unbetitelten vierten Track begleitet von Streichern auf der Treppe des Wahnsinns hinab, um mit den eigenen Dämonen zu kämpfen. In "Schnittmenge" heißt es dann: "Wer sein Leiden mit der Faust schlägt, tut ihm Unrecht / Es braucht Mut, es mit beiden Armen fest zu umschlingen und zu trösten statt es taub abzuweisen als Verbündeten des Bösen."

Dem ein oder anderen mag das zu verkopft, spirituell oder bedeutungsschwanger sein. Doch interessanter als jene Rapper, die jegliche Bedeutung schon von vornherein abtreiben, ist es allemal. Hier beweist jemand, dass Dichten und Denken durchaus im Einklang stehen können. Sowohl technisch als auch lyrisch geschieht das auf einem unglaublich hohem Niveau. Selbst wenn Amewu wie in "Training day" dann mal zum schwindelerregenden Doubletime-Rap ansetzt, dass man denkt, seine Zunge würde sich bald zu einem Seemannsknoten formen, bleibt der Intellekt nicht auf der Strecke. "Völlig eingehüllt in Weihrauch des eigenen Gestanks suchen Menschen nach Vereinigung, doch bleiben auf Distanz / Konsumieren dies und das zum Vertreiben ihrer Angst, doch vertreiben nur sich selbst, denn sie zeigen sich nie ganz." Es sind Zeilen wie diese, die dieses Album so groß machen - da sie sich gegen die Abstumpfung und den Zynismus wenden und da sie so fulminant vorgetragen werden. Auch in Sachen Beats und Samples ist das Ganze wunderbar zusammengezimmert. Falls also irgendjemand den deutschen HipHop in Lebensgefahr sieht, der möge ihm dieses Album als Defibrillator reichen.

(Marco Wedig)

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Highlights

  • Leidkultur
  • Lichttherapie
  • Schnittmenge
  • All Ein Sein
  • Training day

Tracklist

  1. Leidkultur
  2. Fortschritt
  3. Lichttherapie
  4. Untitled
  5. Schnittmenge
  6. Stone (feat. S-Rok)
  7. Stein im Meer
  8. All Ein Sein
  9. Training day
  10. Rückblick (feat. Chefket)
  11. Demut
  12. Kreise (feat. Gris und Wakka)
  13. Abschied (feat. Phase)
  14. Wenn
  15. Schwarze Sonnen (feat. Cr7z und Absztrakkt)
  16. Ontogenie

Gesamtspielzeit: 58:42 min.

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