Soap&Skin - Narrow
Solfo / PIAS / Rough Trade
VÖ: 10.02.2012
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Morbid ohne Zucker
Heute aus unserer beliebten Reihe "Zum Scheitern verurteilte Geschäftsideen, die deswegen gar nicht erst umgesetzt wurden": Schokolade mit Stacheldraht. Schmeckt nur anfangs gut, ist auf Dauer viel zu eisenhaltig und hinterlässt außerdem fiese Wunden in der Mundhöhle. Ein Produkt allerdings, das sich gut und gerne Anja Plaschg alias Soap&Skin ausgedacht haben könnte, geht man nach ihrem von finsteren Kindheitserinnerungen, Trauerprozessionen und Vernichtungsängsten durchdrungenen Debüt. Stattdessen gibt es anlässlich des Nachfolgers von "Lovetune for vacuum" nun aber eine Schokolade zu kaufen, die neben Weihrauch, Rotwein und Kornblumen immerhin auch Schweineblut enthält - und kaum Zucker.
Denn die Österreicherin verhandelt auf "Narrow" unbarmherzig tiefste Bitternis und präsentiert sich genauso verletzlich, wie sie auf dem Cover dreinschaut. Wie sie dieses Mini-Album mit einer klagenden Moritat über ihren verstorbenen Vater eröffnet und dabei die kindliche Hoffnung auf Wiederauferstehung mit surrealistischen Motiven körperlicher Verwesung koppelt, ist nicht nur beklemmend, sondern auch dank des deutschen Textes das denkbar intimste Zurschaustellen des eigenen Seelenlebens. Plaschg fleht, beschwört und übertönt ihr Klavier um ein Vielfaches, bis sich "Vater" in ein bombastisches Finale aus gedoppelten Chören, stoischen Schlägen und zerrenden Lärmfetzen hineinsteigert und dann leblos zusammensackt.
Nach dieser aufreibenden Ouvertüre tut die auf Piano, Stimme und vereinzelte Streicher heruntergekochte Version von Desireless' "Voyage voyage" in ihrer bewussten Entschleunigung zwar betont harmonisch, leuchtet aber gnadenlos die düsteren Ecken des Songs aus und befreit ihn von sämtlichen Pathosrückständen, die achtziger Synthie-Schmalz und überstrapaziertes Formatradio-Airplay hinterlassen haben könnten. "Deathmental" dagegen entpuppt sich als hartgesottenes Industrial-Monster, bei dem die Elektronik gespenstisch widerhallt und bedrohliche Fanfaren donnernd vor die Wand fahren. Doch kein Mitleid bitte: "Life lays in your heart like in a coffin / Stop faking suffering like a child." Nein, Leiden mit Soap&Skin ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Dafür aber eine atemberaubende Erfahrung.
Und als wüsste Plaschg selbst, dass sie nach diesen harten Anfangsbrocken nicht mehr viel weiter gehen kann, übt sie sich zur Mitte hin auf drei zurückgenommenen Piano-Etüden inklusive Schubert-Zitat lieber in vergleichsweiser Zurückhaltung. Erst gegen Ende begehrt "Narrow" noch einmal kurz auf, lässt elektronische Drums bürsten und Percussions scheppern, bevor das Klavier von "Big hand nails down" zu schwer atmenden Beats abgrundtiefe Akkorde anschlägt. Dazu tickt unheilschwanger die Uhr, und dem Unglücklichen schlägt die knappe halbe Stunde eines oft brillanten, jedoch stets brillant morbiden Mini-Albums. Als Schokolade wäre das wohl ein Magengrab.
Highlights
- Vater
- Voyage voyage
- Deathmental
Tracklist
- Vater
- Voyage voyage
- Deathmental
- Cradlesong
- Wonder
- Lost
- Boat turns toward the port
- Big hand nails down
Gesamtspielzeit: 29:14 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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The MACHINA of God User und Moderator Postings: 31725 Registriert seit 07.06.2013 |
2020-08-05 11:02:05 Uhr
Ja, ich tendiere auch zur 9/10. Insgesamt für mich wohl sogar ihre beste. Wenn auch knapp. |
doept Postings: 713 Registriert seit 09.12.2018 |
2020-08-04 23:43:18 Uhr
PT so: 7/10Ähm, nein. 9/10. Da sind Lieder wie Wonder drauf... https://www.youtube.com/watch?v=aUS6DCzvxH8&t=1890s Just sayin' PS: Der Thread oben ist ja mal wieder grandios off-topic :-) Schweineblut, Gelatine, Vegetarismus. Passt schon. |
Mr. Fritte Postings: 794 Registriert seit 14.06.2013 |
2020-01-01 21:20:59 Uhr
Das ist bei mir auch drin, ganz tolles Album. Mit dem Neuen konnte ich leider nicht mehr so viel anfangen. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 31725 Registriert seit 07.06.2013 |
2020-01-01 20:56:47 Uhr
Wird bei mir noch etwas höher als "From gas to solid / You are my friend" landen. "Vater" ist absolut grandios und war damals mein Song des Jahres (mein Vater verstarb im übrigen ein Jahr vorher), dann das wunderschöne "Wonder"... und natürlich "The boat turns towards" the boat. Ach ja, und der Industrial-Math. :D Selbst "Voyage voyage" mag ich. Haha. Einfach ein klasse Album, wenn auch kurz. |
VelvetCell |
2012-05-08 12:31:23 Uhr
Großartig! |
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Referenzen
Nico; Dillon; Cherry Sunkist; Bat For Lashes; White Magic; Zola Jesus; Fever Ray; Planningtorock; Björk; Glasser; Metallic Falcons; Diamanda Galás; Joanna Newsom; Antony & The Johnsons; Kate Bush; Cat Power; Regina Spektor; Shannon Wright; St. Vincent; Kraków Loves Adana; Niobe; Chelsea Wolfe; Xiu Xiu; Julia Marcell; Sóley; Kate Walsh; CocoRosie; Pascal Pinon; Perfume Genius; Blouse; Grimes; Emika; Mira Calix; Iamamiwhoami; Aphex Twin; Sleep 8 Over; Esben And The Witch; Attrition; Milù; Mila Mar; Trost; Meredith Monk; Michaela Melián; Arvo Pärt; Sergej Rachmaninoff; Franz Schubert; Michaela Meise; Virginia Astley; Anna Domino; Fennesz; Apparat
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