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Jóhann Jóhannsson - Fordlândia

Jóhann Jóhannsson- Fordlândia

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 31.10.2008

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Aus dem Dschungel, in den Dschungel

Island war die längste Zeit nur eine Insel, die wie irgendetwas Komisches mit dicker Nase aussieht. Zumindest seit es eine coole Sache ist, Platten mit angenehm unaussprechlichen Songtiteln zu kaufen. Jóhann Jóhannsson ist mit dem Instrument Sprache allerdings nicht beizukommen, obwohl der Reykjaviker Musiker, Komponist und Produzent zuweilen instrumental mehr Geschichten erzählt als andere Künstler auf ganzen Spoken-Word-Diskografien. Etwa die seines Vaters, der in den Sechziger Jahren den ersten leistungsfähigen Business-Computer baute, dem sich zusätzlich bizarre elektronische Melodien entlocken ließen. Resultat war "IBM 1401, a user's manual", ein für Streicher arrangiertes Werk mit Suiten für Prozessor, Lochkarte oder Drucker. "Neoklassik-Bauernfängerei", riefen die einen. "Überirdisch schön", meinten die anderen. "Was soll das?", fragten die nächsten. Sie alle hatten auf irgendeine Weise Recht.

Nun hat Jóhann Jóhannsson auch ohne Worte wieder einiges zu berichten. Diesmal über griechische Mythologie, die im eingehenden 20. Jahrhundert auf kapitalistischen Unsinn prallte: Damals errichtete die Ford Motor Company vor Erfindung des synthetischen Gummis nämlich im Amazonasgebiet eine Retortenstadt namens "Fordlândia", um Kautschuk für Autoreifen zu gewinnen, versklavte die Einheimischen und ruinierte 10.000 Quadratmeter Regenwald. Hier kommt der griechische Waldgott Pan ins Spiel, dessen überlieferten Tod Jóhannsson mit dem damaligen Eingriff in die Natur verknüpft. "Fordlândia" ist also genauso relevanter Kommentar zur Umweltzerstörung rund ein Jahrhundert später wie abstrakte Metapher für Leute mit Filmen im Kopf, die ständig alles miteinander vernetzt sehen wollen. Und funktioniert nicht nur nebenbei als zeitgenössische Interpretation klassischer Musik mit elektronischem Unterbau überraschend gut.

Dafür sorgt nicht zuletzt das Badalamenti-erprobte Prague Philharmonic Orchestra, das schon auf "IBM 1401, a user's manual" zu hören war und auch die maßgeblichen Parts von "Fordlândia" mit luxuriösen Streicherwänden überzieht. Das sich leise anschleichende und dann mild detonierende Titelstück etwa, das man in seiner zeitlupenartigen Monotonie tatsächlich entfernt mit Sigur Rós in Verbindung bringen könnte, denkt man sich einmal die jubilierenden Elfen weg und elektronisches Störfeuer dazu. Jóhannssons eigenes Streicherensemble lässt "The rocket builder (Io Pan!)" in ominösem, Kronos-Quartet-artigem Strudel versinken, bevor auf "The great god Pan is dead" ein Chor über den mythischen Trauerfall lamentiert. "Melodia (A space propulsion device based on Heim's quantum theory)" ist kurz vor Schluss nicht nur im Untertitel monströs, sondern geht auch musikalisch noch einmal in die Vollen: orchestrale Opulenz, eine bange tuckernde Kirchenorgel, rhythmische Unruhe mit angedeuteten Drones - in "Fordlândia" muss wirklich einiges schiefgelaufen sein vor knapp 100 Jahren. Falls es der Autostadt Wolfsburg mittelfristig genauso ergehen sollte, kann Jóhannsson sich ja auch dazu schon einmal einen passenden Soundtrack ausdenken. Doch verlassen wir die Kopfgeburten megalomaner Großindustrieller. Denn das kann man gar nicht oft genug tun.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Fordlândia
  • The rocket builder (Io Pan!)
  • Melodia (Guidelines for a space propulsion based on Heim's quantum theory)

Tracklist

  1. Fordlândia
  2. Melodia (I)
  3. The rocket builder (Io Pan!)
  4. Melodia (II)
  5. Fordlândia - aerial view
  6. Melodia (III)
  7. Chimaerica
  8. Melodia (IV)
  9. The great god Pan is dead
  10. Melodia (Guidelines for a space propulsion device based on Heim's quantum theory)
  11. How we left Fordlândia

Gesamtspielzeit: 67:09 min.

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