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Nervous Nellie - Ego and the Id

Nervous Nellie- Ego and the Id

Hazelwood / Indigo
VÖ: 01.08.2008

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Jenseits des Frustprinzips

Irgendwie hat er es sich ja selbst eingebrockt, der olle Sigmund Freud. Da betitelt er den großen Wurf seiner drei*gliedrigen* Metapsychologie mit "Das Ich und das Es" und wundert sich hinterher, weshalb der dritte Term, das Über-Ich, lediglich ein Stiefvaterdasein im Schatten der beiden großen Brüder führt. Im Grunde aber ließ Freud seinen Big Papa auf diese Weise lediglich ebenso in den Hintergrund treten, wie dieser stets im Verborgenen operiert und seine Anreize verteilt. Form follows function, mal anders. Und Nervous Nellie? Auch das "Ego and the Id" dieser 2+2 Brüder (die Johnsons und Johanssons, wer mag sich so was bloß ausdenken?) ist ein einziges, Über-Ich gewordenes Kulturgedächtnis der alternativen Gitarrenmusik. Es nimmt den Hörer bei der Hand und zeigt ihm die Welt da drinnen und da draußen. Und zwar ebenso verschwiegen, still und heimlich wie der gute Sigmund selbst.

Kein Wunder also, wenn auch in "Ego and the Id", dem an Freud angelehnten Titel von Nervous Nellies Zweitwerk, der eigentlich organisierende Charakter ausgespart wird. Denn insgeheim lenkt es sich halt immer noch am besten. So legt auch ein absoluter "Über-Hit" wie "Since I" erst mal behutsam den Finger über die Lippen, reißt dann aber um so mächtiger die Kontrolle an sich. Aus mehrstimmig vor sich hin poppendem Uptempo-Folkrock fluten sich die Gitarren zum Refrain in eine wahre Übersprungshandlung aus Euphorie und Beherztheit. Als sei alles bloß Reflex, werden die Tore des Unbewussten für kurze Zeit geöffnet, um dann doch wieder eingefangen zu werden. Schlicht, kompakt, ergreifend und unbedingt hymnisch, zum Geheimratsecken- und Fäusteschütteln: Besser machen das nach wie vor nur die alten Recken von Mascis bis Dando - wenn sie einen sauguten Tag haben und sich die Haare zum freien Blick aufs Griffbrett aus dem Gesicht wehen lassen.

Auch sonst überraschen Nervous Nellie, wie bereits auf ihrem Debüt und trotz deutlich erhöhten Country- und Folk-Anteils, durch die fast vollständige Abwesenheit irgendwelcher fader Hierarchien oder doppelter Böden. Ihre Songs präsentieren sofort, was sie haben, gehen schnörkellos voran. Die Bodenhaftung von "Tangle to unwind" oder "Gold mine" spendet eine Eintracht, in der man, indem man der Musik von anderen lauscht, sich selbst immer noch am besten hören kann. In der Dämmerung dieser Selbstbeobachtungen räkeln sich Versprechen ebenso wie gute Taten und Vorsätze. Und die überall lauernde Erkenntnis, dass sich nichts davon erfüllen wird oder halten lässt, explodiert zu einem Dauergrinsen, das die Welt vielleicht von Grund auf verkennt ... aber es wird auch klar, dass sie es nicht anders verdient.

Genau diese Weltentrückung ist ein weiterer herausragender Zug von "Ego and the Id". Denn sie funktioniert nicht als Leierkasten-Aussteiger-Mentalität, sondern als ein dicker, fetter Affront. Ein einziger Stoizismus, bei dem Melodien, Harmonien und Rhythmik vielleicht altbekannt sind, jedoch derart selbstbewusst und ehrlich nach vorne spazieren, dass alle offenen Fragen postwendend mit einem rhetorischen Achselzucken beantwortet werden. Ein gemachtes Bett aus Schulterklopfen und Selbstvergewisserung: Nur selten hat man sich so gut verstanden, wie zu dieser Musik. Es mag Spannenderes geben. Aber Wichtigeres wohl kaum. "Since I met you, I knew we'd shake it / All the lies in my head are for you": Danke, Über-Ich. Danke, Nervous Nellie.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights

  • Tangle to unwind
  • Since I
  • Gold mine

Tracklist

  1. June
  2. They all laughed along
  3. Hopeless way to feel
  4. Tangle to unwind
  5. Since I
  6. In a month or two
  7. Ever so slight
  8. Gold mine
  9. So feel good
  10. Best of times
  11. Sweet one

Gesamtspielzeit: 38:34 min.

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