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The Microphones - Microphones in 2020

The Microphones- Microphones in 2020

P. W. Elverum & Sun
VÖ: 07.08.2020

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

"There's no end"

So lauten die letzten Worte dieses Mammutwerks. "Kein Ende". Allemal jedoch: Zeit zum Durchschnaufen. Denn was zuvor, in einer knappen Dreiviertelstunde, geschah, lässt atemlos zurück. The Microphones erscheinen mit diesem Release wieder auf der Bildfläche, doch wirklich weg waren sie nie. Mastermind Phil Elverum hat in den letzten Jahren vor allem unter seinem anderen Projektnamen Mount Eerie Platten veröffentlicht, die meist zwischen den Polen Indie-Rock, Ambient, Noise und Alternative-Folk oszillierten und dabei oftmals herrlich uneindeutig blieben. Bis Elverums Ehefrau und künstlerische Seelenverwandte Geneviève Castrée 2016 nur wenige Monate nach der Geburt ihres ersten gemeinsamen Kindes an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstarb. Seither komponierte Elverum drei weitere, emotional wuchtige Platten, die von Verlust, Hoffnung und der Angst vor noch mehr Verlust handelten. Dass Mount Eerie mit ebenjenen Alben zu einem der spannendsten Indie-Künstler avancierte, war freilich der Intensität der Songs zu verdanken. Die Rückkehr unter seinem schon beinahe eingestaubten Moniker The Microphones sorgte daher für großes Aufsehen. Wobei Elverum nicht müde wird zu betonen, dass der Wechsel zum alten Pseudonym für ihn selbst gar kein grundsätzlicher Paradigmenwechsel sei. Für Elverums Hörer und Fans ist es indes schon bemerkenswert. "The glow pt. 2" aus dem Jahr 2001, veröffentlicht unter ebenjenem früheren Projektnamen, ist beispielsweise ein kultisch verehrter Lo-fi-Klassiker. Ein Album, das viele junge Künstler wesentlich beeinflusste und ein wichtiger musikalischer Wegweiser der frühen 2000er-Jahre.

Wozu nun aber eigentlich dieser lange, ausschweifende Rückblick? Nun, erstens gibt es eben viel zu erzählen über die bewegte Geschichte dieses Musikers. Zweitens, und das ist tatsächlich ausschlaggebend, ist "Microphones in 2020" nichts anderes als eine einzige biografische Abhandlung, irgendwo zwischen Longtrack und Album. Begleitet wird das Stück von einer, nun ja, Dia-Show, die wichtige Fotografien aus dem Leben des Musikers zeigt. In der Folge und mit zunehmender Spieldauer drängen sich also nicht nur musikalische Vergleiche auf. Man denkt unweigerlich auch an Schriftsteller wie zum Beispiel Karl Ove Knausgård, die ebenfalls aus ihren persönlichen Erlebnissen literarische Werke ableiten. Ähnlich funktioniert das hier bei Elverum. Man folgt dem Künstler, der mitunter auch verschroben, in sich gekehrt, merkwürdig wirkt, in diesen knapp 45 Minuten Schritt für Schritt und immer tiefer hinein in diesen dichten Wald aus Erinnerungen, Assoziationen, Gedankenfetzen. Zu Beginn erklingen jedoch erst repetitive, einlullende Akustikgitarren, nach knapp acht Minuten beginnt Elverums Vokalvortrag, der sich dem hier noch regierenden Lagerfeuer-Sound beugt. Eine konzeptuelle Ähnlichkeit zum mittlerweile einigermaßen umstrittenen Sun-Kil-Moon-Mastermind Mark Kozelek ist bei alldem nicht von der Hand zu weisen. In der elften Minute mischt sich Noise in die Szenerie: Die neue Verzerrung baut eine ungewisse Spannung auf, kurz darauf stoßen angenehm laute Drums hinzu. Die Intensität steigt. File under: Post-Rock als intimer Erzählkreis.

"Microphones in 2020" ist freilich ein Werk, das man in dieser Form zwangsläufig immer am Stück hören muss. Es gibt keinen Notausgang, keinen Standstreifen. Auf Pause drücken? Keine Option. Dafür baut sich mit der Zeit eine zu dichte Atmosphäre auf, Noise-Attacken und sanfte Pianotupfer kämpfen bei Minute 22 um die Vorherrschaft, während Elverum von seinen musikalischen Vorlieben in den mittleren Neunzigerjahren erzählt – wenig überraschend: Red House Painters, Sonic Youth, The Cranberries – und davon berichtet, wie er mit dem Rekorder seine Lieblingsstücke aufzeichnete. Der Einblick, den Elverum hier gewährt, ist tief. "Microphones in 2020" wirkt nicht selten wie eine therapeutsche Sitzung, ein Zurechtfinden im Labyrinth der eigenen Seele. Er berichtet von dem Tag, als er sein Pseudonym The Microphones zu Grabe trug und zwar nicht nur metaphorisch, sondern buchstäblich, in einem okkult wirkenden Ritual in Nordnorwegen, nur um als Mount Eerie neu geboren zu werden. Und davon, dass auch diese Prozedur nur eine Momentaufnahme war. Denn Totgeglaubte leben länger. Vielleicht sogar: für immer.

(Kevin Holtmann)

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Highlights

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Tracklist

  1. Microphones in 2020

Gesamtspielzeit: 44:44 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

javra

Postings: 193

Registriert seit 29.07.2014

2021-02-20 17:23:38 Uhr
Wahnsinnsding, hab mich da mal wieder von ertränken lassen.

Gomes21

Postings: 4886

Registriert seit 20.06.2013

2020-12-22 08:59:35 Uhr
Danke für die Rückmeldung zum Vinyl, wie man den Flow beibehält hab ich mich auch schon gefragt!

Eliminator Jr.

Postings: 1243

Registriert seit 14.06.2013

2020-12-22 00:53:00 Uhr
Seit heute endlich auf Vinyl zur Hand, läuft gerade zum dritten Mal in zwölf Stunden. Ein schlicht faszinierendes und komplett einnehmendes Album. Man muss sich wohl etwas drauf einlassen, allen voran, wenn man die zahlreichen lyrischen Selbstreferenzen und Metaebenen bemerken will, aber es lohnt. Auch zur atmosphärischen Hintergrundbeschallung zum kühlen Carlsberg taugt es gerade vortrefflich. Für mich wohl sein bestes Album seit „Clear Moon“ (alle dazwischen waren sehr gut, wohlgemerkt).

Zum Vinyl: überzeugt flächendeckend, wie all seine Releases auf P.W. Elverum and Sun. Wie gewohnt dickes Gatefold, extensive, handschriftliche Liner Notes, superb gemastert von John Golden. Hier drei bespielte Seiten mit erfreulich unauffälligen und natürlichen Fade-Outs. War gespannt, wie das gelöst wird und man könnte meinen, das Stück wurde mit den bekannten Limitationen des Formats im Hinterkopf komponiert. Alles top. Die Sammlung ist endlich wieder komplett :)

Gomes21

Postings: 4886

Registriert seit 20.06.2013

2020-11-27 22:40:29 Uhr
Danke für den Tip!

VelvetCell

Postings: 6492

Registriert seit 14.06.2013

2020-11-27 22:34:53 Uhr
Ich find´s großartig:

https://youtu.be/A7BkabF31ak
Zum kompletten Thread

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