Philipp Rumsch Ensemble - Reflections
Denovali / Cargo
VÖ: 09.03.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Jazz ist anders
Das Telefon klingelt, Bart Simpson ruft an. Ja, hier ist jemand, der Rumsch heißt. Entschuldigung, das musste einfach aus dem System. Philipp Rumsch ist ein junger Jazzmusiker aus Leipzig, der seit kurzem bei Denovali unter Vertrag steht. Im Jahr 2015 formierte er ein zwölfköpfiges Ensemble, mit welchem er sich ganz der Verschiebung musikalischer Grenzen hingibt. Denn Jazz allein ist Rumsch viel zu wenig, viel zu eng. Der Pianist und Komponist kann und will mehr. Auf "Reflections", seinem zweiten Ensemble-Album, verschmilzt er Einflüsse aus dem Ambient und der sequentiellen Musik mit jazzigen Klängen. Hierbei agiert er nicht nur traumwandlerisch sicher, sondern vor allem erstaunlich vielseitig. "Reflections" geht weit über alltägliche kontemporäre Kunstmusik hinaus und macht just aus diesem Grund unerhört viel Spaß – obwohl der Grundtenor der Musik vor allem eines ist: zappenduster.
Das Album funktioniert als Gesamtwerk hervorragend. Schon "Prologue" lässt aufhorchen: Jaulende Streicher erzeugen ein Gefühl der Verlorenheit, das auch nach dem Verklingen des ersten Drones anhält. Das um ein simples Klaviermotiv herum aufgebaute "Part I" geht im Vergleich dazu fast schon als konventionell durch. Fast. Denn auch hier wird offensichtlich, dass Rumsch kein bloßer Nachmacher, sondern ein Musiker mit einer eigenen Stimme ist. Apropos Stimme: Inmitten des instrumental gehaltenen Albums findet sich mit "At your enemies" eine waschechte Überraschung. Ja, es ist das "At your enemies" von John Frusciante und Josh Klinghoffer. Rumsch versucht gar nicht erst, den Song gegen den Strich zu bürsten, sondern belässt es bei behutsam angebrachten Justierungen. Besonders das Bläser-Arrangement klingt so, als hätte es gefehlt.
Absoluter Höhepunkt von "Reflections" ist "Part II". Ganz im Geiste von Bohren & Der Club Of Gore legt das Ensemble eine Vollbremsung ein. Zeitlupenakkorde treffen auf sphärische Streicher und Bläser, es dauert fast acht Minuten, bis der dramatische Höhepunkt erreicht ist. Langeweile kommt auf dem Weg dahin indessen nicht auf, dazu passiert trotz des minimalistischen Ansatzes viel zu viel. Natürlich kann man solche Musik nebenbei laufen lassen, dies wäre im Anbetracht der Detailverliebtheit und spielerischen Klasse aber Verschwendung. Rumsch verzichtet fast vollständig auf große Studiotricks und verlässt sich voll und ganz auf die Fähigkeiten der beteiligten Instrumentalisten. Dass "Reflections" im Prinzip live genauso wie auf Platte klingen würde, ist als Kompliment zu verstehen.
In "Part IV" nimmt das Ensemble den motivischen Faden aus "Part II" wieder auf, wobei diesmal ganz klar der Rhythmus im Vordergrund steht. Was mit einer simplen Bassdrum-Figur im Viervierteltakt beginnt, wird schnell zu einem polyrhythmischen Verwirrspiel. Stimmung und Akkordstruktur erinnern teils sogar an bekannte Künstler aus dem Indiebereich – wer den "Pyramid song" von Radiohead mag, dürfte auch an "Part IV" Gefallen finden. Es muss allen Beteiligten hoch angerechnet werden, dass "Reflections" zu keinem Zeitpunkt verkopft oder gar verschwurbelt daherkommt. Bei aller technischen Raffinesse bildet die Stimmung, die durch die Musik erzeugt wird, das Hauptinteresse des Ensembles. Telefonstreiche sind also bis auf Weiteres völlig fehl am Platz.
Highlights
- Part II
- At your enemies
Tracklist
- Prologue
- Part I
- Interlude
- Part II
- Prelude
- At your enemies
- Part IV
- Epilogue
Gesamtspielzeit: 45:27 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Auch gut |
2018-05-13 10:00:16 Uhr
Polar Bear |
Umsch heißer |
2018-03-04 10:49:47 Uhr
Live der reine Wahnsinn. Z.T stehen auf der Bühne mehr Leute als im Publikum. Klarer Fall von "I knew them...".Kann ich jedem nur empfehlen. |
RevCo Inc. |
2018-03-02 19:59:17 Uhr
Einer von euch muß doch Rumsch heißen!! |
Dissonant |
2018-03-02 19:10:17 Uhr
Ist hier irgendjemand der Rumsch heißt? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 26285 Registriert seit 08.01.2012 |
2018-03-02 13:59:22 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
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Referenzen
Bohren & Der Club Of Gore; Esbjörn Svensson Trio; Povarovo; The Mount Fuji Doomjazz Corporation; Somwhere Off Jazz Street; Brad Mehldau; Lars Danielsson; Neil Cowley Trio; Cinematic Orchestra; Polar Bear; Portico Quartet; Tord Gustavsen Trio; The Necks; Raison D'être; Bonobo; Hidden Orchestra; The Caretaker; Bill Laswell; Keith Jarrett; Quantic; GoGo Penguin; Laraaji; John Frusciante; Josh Klinghoffer; Radiohead; Brian Eno; Sigur Rós; Jonny Greenwood; Philip Glass; Steve Reich; Nils Petter Molvær
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