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Tune-Yards - I can feel you creep into my private life

Tune-Yards- I can feel you creep into my private life

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 19.01.2018

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Du schwarz, ich weiß

Man hört es Merrill Garbus nicht direkt an, aber: Die Amerikanerin hat ein schlechtes Gewissen. Weiß, privilegiert, bei einem der renommiertesten Indie-Labels überhaupt unter Vertrag – beste Voraussetzungen, um mit ihrem Projekt Tune-Yards auf wild überbordenden Platten wie "Whokill" oder "Nikki nack" alles miteinander zu koppeln, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: quietschbunt karikierten Pop mit Andeutungen folkiger Freakouts, aber auch Geräusch-HipHop mit abstraktem Funk und afrikanischen Rhythmen. Wenigstens Letzteres erklärt sich aus Garbus' Studienaufenthalten in Kenia und im Kongo – gleichzeitig spricht aus ihrer Musik aber auch die Verunsicherung weißer Künstler in Zeiten zusehends verpönter Aneignung schwarzen Kulturguts. Anders gefragt: Darf Tune-Yards, was Santigold darf? Oder vielmehr: Dürfen sie?

"I can feel you creep into my private life" ist nämlich nicht nur Garbus' viertes Album, sondern auch das erste, auf dem Sozius Nate Brenner an Keyboards und Bass als offizielles Mitglied fungiert – und der Wahlkalifornierin nach Kräften dabei behilflich ist, ihren Sound so weit zu entschlacken, dass vergleichsweise schlanke Strukturen und ungewöhnlich straighte Dance-Anflüge deutlicher hervortreten denn je. Nicht einmal Platz für typografische Spitzfindigkeiten wie den ehemals lustig aus Klein- und Großschreibung zusammengewürfelten Bandnamen bleibt hier noch – verhandeln Tune-Yards mit digital ausgehöhlter Privatsphäre, Ausgrenzung von Randgruppen sowie Sexismus-Sumpf und #MeToo-Aufschrei doch allerlei politischen und gesellschaftlichen Unrat, der weder Stilisierung noch Ironie verträgt. Reife Leistung, dass der Spaß trotzdem nicht zu kurz kommt.

Etwa im Opener "Heart attack", der sich zu Humpel-Piano und perkussiver Fuddelei hyperaktiv entblättert, ehe die Streicher eine melancholische Ebene in den bis dahin scheinbar sorglosen Popowackler einziehen. Eine Stimmung, die sich im schweren Groove von "Coast to coast" fortsetzt: "I know your language but I wish it was silence / The seeds are sown in all the small acts of violence" – willkommen in der "Make America great again"-Ära, wo selbst das "Let freedom ring"-Zitat wie ein Altsarkasmus klingt und von einem ätzenden "But whose freedom?" konterkariert wird. Womit wir wieder bei kultureller Aneignung wären – und wenig später bei "ABC 123", das Analog-Synthies mit Trap-Beats zusammenrasseln lässt, während der Gesang zwischen kehlig und soulig changiert. "Riotriot" nannte Garbus das auf "Whokill" – man darf aber auch Hit dazu sagen.

Dass weitere folgen, versteht sich bei all dem planvollen Gemenschel beinahe von selbst, zumal Tune-Yards verstärkt Electronica und Technoides integrieren – am deutlichsten im pumpenden Clubtrack "Colonizer", wo Garbus zu rigidem Geknarze und trockenem Metallgedengel mit den Worten "I use my white woman's voice to tell stories about travels with African men" ihre künstlerische Position infragestellt. Ähnlich großartig: "Look at your hands", das als Schwippschwager von Afrika Bambaataas Breakdance-Klassiker "Planet rock" verbrecherische Machenschaften von Großkonzernen kommentiert – nicht dass die Frontfrau hier noch die einzige mit schlechtem Gewissen ist. "Don't tell me I'm free" heißt es zum Schluss desillusioniert – Tune-Yards aber sind immerhin so frei, dass es für ein so hinreißend farbenfrohes wie stets an sich selbst zweifelndes Album reicht.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Heart attack
  • ABC 123
  • Colonizer
  • Look at your hands

Tracklist

  1. Heart attack
  2. Coast to coast
  3. ABC 123
  4. Now as then
  5. Honesty
  6. Colonizer
  7. Look at your hands
  8. Home
  9. Hammer
  10. Who are you
  11. Private life
  12. Free

Gesamtspielzeit: 44:27 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Arbeiter
2018-01-27 11:17:42 Uhr
Nach dem Reinhören habe ich die Platte wieder von meiner Einkaufsliste gestrichen. Die Vorgänger waren toll. Aber hier klingt der Gesang irgendwie nervig.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26411

Registriert seit 08.01.2012

2018-01-11 21:30:22 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26411

Registriert seit 08.01.2012

2017-10-24 17:44:08 Uhr - Newsbeitrag
Eine der außergewöhnlichsten Künstlerinnen ist zurück - mit guten Neuigkeiten und einem Song, der einem gar nicht mehr aus dem Kopf gehen will: Tune-Yards kündigt ihr neues Meisterwerk an und liefert den Song der Woche!

Tune-Yards Meisterwerk erscheint am 19. Januar, in Form des neuen Albums „I can feel you creep into my private life“. Thematisch behandeln die 12 Songs darauf Geschlechterteilung, Politik, Feminismus und die nach wie vor um sich greifende Umweltverschmutzung. Doch trotz all dieser eher betrüblichen und kritischen Themen sind die Songs des Albums die wohl bisher zugänglichsten Werke von Tune-Yards – das ist Tune-Yards Musik, um dazu zu tanzen!

Und damit folgen einige Neuerungen, denn Tune-Yards ist seit der Arbeit an dem neuen Album ein Duo bestehend aus Frontfrau Merrill Garbus, die von ihrem langjährigen Mitstreiter Nate Brenner während der Produktion und dem Schreiben des Albums unterstützt wurde.

Und noch ein erstes Mal: Denn bei „I can feel you creep into my private life“ arbeitete Garbus erstmals mit einem Mixer zusammen – in Person von Mikaelin „Blue“ Bluespruce (Solange, Kendrick Lamar). Das Album entstand als Nachfolger des hochgelobten Albums „Nikki Nack“ (2014) und wurde in den Tiny Telephone Oakland Studios in Oakland aufgenommen. Gemastert wurde es in Harlem von Dave Kutch (Jay-Z, Chance the Rapper).

Im Zuge der Ankündigung des Albums, präsentiert Tune-Yards auch den ersten neuen Song daraus: „Look at Your Hands“! Merrill Garbus beschreibt diesen wie folgt:

“Yes, the world is a mess, but I've been attempting to look more and more inward: how do all of these "isms" that we live in manifest in me, in my daily activities, interactions? Some of the '80s throwback production came from wanting the vocals to sound robotic, maybe to counter the sincerity of the lyrics. I started sampling my vocals in an MPC which I've wanted to do for years, and there was something that felt really right about my voice being trapped in a machine.”



Im November werden Tune-Yards für zwei Shows nach Deutschland kommen:
16.11. Düsseldorf, New Fall Festival
17.11. Stuttgart, New Fall Festival


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