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Gas - Narkopop

Gas- Narkopop

Kompakt / Rough Trade
VÖ: 21.04.2017

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Wie es schallt

Das World Trade Center stand noch, die Sandbirke wurde Baum des Jahres, ein Lungenkrebsleiden raffte den deutschen Schauspieler Diether Krebs dahin und Wolfgang Voigt veröffentlichte mit "Pop" das letzte Lebenszeichen seines Projekts Gas. Das war vor 17 Jahren. Die Schlagworte in der damaligen Berichterstattung zu Voigts Album kreisten um die Grimms und Heino, um Techno und Wagner, um Streicher und Bäume. "Das Ziel ist immer Pop und den deutschen Wald in die Disko zu bringen", sagte Voigt damals im Interview.

Oder genauer: Der gute Mann dekonstruierte sich munter durch die Klassik, um aus den Versatzstücken der Symphonien Wagners, Mahlers und Schuberts wieder neue und aus ihrem Kontext losgelöste Sounds zu erschaffen. Das gehört seiner Ansicht nach in die Clubs. Oder in die Kunsthalle. Mit "Narkopop" erscheint nun das fünfte Album von Gas. Zehn Tracks, über eine Stunde Spielzeit. Welcome to the Wald.

Dieses Mal zieht es Voigts Sound noch tiefer ins Dickicht. Früher bestachen seine Alben "Königsforst" und "Zauberberg" durch ihre dichte Atmosphäre. Das löst Voigt nun ein wenig auf, die Lücken füllt er mit Verzerrungen und Drone. Die ersten Minuten dieses Albums schweben wie aufgewirbelter Sand. Dazu gesellen sich die Streicher, die hier und da verloren durch die Soundlandschaft taumeln. Rhythmus spielt erstmal keine Rolle, bis dann "Narkopop 5" kommt. Dort verkommen die Takte zu einem tumben Rattern, ein steter Puls, durch dessen Raum die anderen Spuren wachsen, ihre Ranken und Triebe schieben. Je länger dieses Album rotiert, umso mehr verfestigt sich die Dunkelheit. Ambient absorbiert hier Minimal und Dröhnen. Es schallt hier nichts in den Wald, denn der Wald schallt schon von ganz alleine.

Dabei umgeht Voigt das Pathos, keins der zehn Stücke biedert sich an. Die Samples sollen keine Instrumente in die Songs bringen, sie sollen vielmehr Teil dieses Raums werden. Im Loop tauchen ihre deformierten Geister auf. Die deutsche Romantik als Maschinentraum. Denn Voigt verbindet das Urbane, das Synthetische mit der Natur, dem Lebendigen. Und es funktioniert vom ersten bis zum letzten Moment. Mit 17 Minuten nimmt "Narkopop 10" den größten Teil dieses Albums ein. Passenderweise ist es der Track, der sich am deutlichsten manifestiert, der eine Struktur hat. Verschiedene Wolken, Loops und Spuren prallen langsam aufeinander, während sich jeder Moment komplett entfaltet. Das ist funkelnde Schönheit. Orchestraler Ambient. Lediglich William Basinski versteht es noch aus Rissen und Dekonstruktionen solche Sounds zu entführen, jedoch mit einer anderen Herangehensweise.

In der durchdefinierten Welt hat Pop seine festen Strukturen als Idee. Voigts erklärtes Ziel war stets, diese Hörgewohnheiten zu brechen. Samples verkommen zu oft nur zu modernen Varianten ihrer selbst. Ihre Spuren, ihre Rückwärtsgewandtheit ermüden und sorgen für viel zu viel Rekapitulation der gleichen Muster und Gedankengebäude. All das löst Voigt auf, indem er seine Samples des Kontextes enthebt. Woher sie kommen, ist egal. Denn sie gehören nun zu "Narkopop", sie sind Gas, sie sind Teil. Dieses Album ist ein Trip, eine dunkle Schönheit, die ihre Ruhe und Zeit braucht. Sei der Wanderer über diesem Nebelmeer. Ein Beben aus purem Klang. In diesem Wald spielen sich Märchen in psychedelischen Farben ab. Es war einmal, "Narkopop" ist. Und nun dürfen die Keimlinge sprießen.

(Björn Bischoff)

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Highlights

  • Narkopop 1
  • Narkopop 5
  • Narkopop 10

Tracklist

  1. Narkopop 1
  2. Narkopop 2
  3. Narkopop 3
  4. Narkopop 4
  5. Narkopop 5
  6. Narkopop 6
  7. Narkopop 7
  8. Narkopop 8
  9. Narkopop 9
  10. Narkopop 10

Gesamtspielzeit: 71:20 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Given To The Rising

Postings: 7679

Registriert seit 27.09.2019

2020-03-13 22:43:41 Uhr
@Herr: Krasser Spruch, Digga.

peppermint patty

Postings: 1904

Registriert seit 07.05.2019

2020-03-13 22:42:04 Uhr
Von Hopkins kenn ich die "Immunity". Ich liebe den Track "We disappear" Das Motiv des Verschwindens hat mich seit jeher faszimiert. Noch geiler ist die Vocal-Version mit Lulu James.

Herr

Postings: 2201

Registriert seit 17.08.2013

2020-03-13 22:35:44 Uhr
Die Sprung aus der nebenan wortreich erschlossenen Themenwelt direkt in dieses Œuvre mag auf den ersten Blick verstören, führt aber durch den unmittelbaren audiophilen Effekt narkotisch zu Beruhigung.

Given To The Rising

Postings: 7679

Registriert seit 27.09.2019

2020-03-13 22:31:49 Uhr
Jon Hopkins kennst du?
"Rausch" gibt's auf Bandcamp: https://kompakt-gas.bandcamp.com/album/rausch

peppermint patty

Postings: 1904

Registriert seit 07.05.2019

2020-03-13 22:29:25 Uhr
Ich mag vor allem die zweite und dritte, sprich Zauberberg und Königsforst. Du bist glaub ich generell ambientiger als ich veranlagt, ich hör lieber clublastigete Sachen, obwohl ich so gut wie nie in Clubs gegangen bin und auch nie mehr gehen werde. "Rausch" gibt's leider nicht auf YT. No Streamingabos :(
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