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Exquirla - Para quienes aún viven

Exquirla- Para quienes aún viven

Superball / Sony
VÖ: 17.02.2017

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Mit den Lippen am Himmel

Eine Rezension auf Plattentests.de ist meist zwischen 2000 und 2500 Zeichen lang. Eigentlich nicht viel Text, möchte man meinen. Eine DIN-A4-Seite, mehr nicht. Doch es gibt Augenblicke, in denen selbst 1500 Zeichen unerreichbar wie der Gipfel des Nanga Parbat erscheinen. Denn manchmal ist es verdammt schwer, Begeisterung in Worte zu kleiden. Jedes Wort, jeder Satz fühlt sich unzureichend an. Der Musik gerecht zu werden, ist wohl die größte Herausforderung für einen Rezensenten. Exquirlas Debüt "Para quienes aún viven" ist ein Album für solch eine Sinnkrise. Absätze kommen und gehen, ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit bleibt. Ein Gefühl, das es der Sprache abzuringen gilt.

Exquirla ist ein Kollaborationsprojekt der spanischen Post-Rock-Band Toundra mit dem Flamenco-Sänger Niño de Elche. Was auf dem Papier wie ein schlechter Witz aus der Marketingabteilung wirkt, ergibt beim Hören schon nach wenigen Momenten Sinn. Harmonisch agiert die Band auf konventionellem Terrain, perlende Arpeggios und mächtige Riffs bestimmen dabei das Klangbild. Wobei Toundra keine Effekthascher oder Frickler sind: Immer wieder gönnen sie dem Hörer Verschnaufpausen, in denen er sich von den markerschütternden Höhepunkten erholen darf. Die Spanier sind keine Mucker, sondern Überzeugungstäter mit einem außerordentlichen Gespür für Arrangements. Im Mittelpunkt der Musik steht aber de Elches Stimme. Jedes Wort, das der Mann flüstert, singt und schreit, wiegt schwer. Der Vortrag des Vokalisten ist nicht nur technisch versiert, sondern zutiefst emotional. Egal, ob in Wut, Trauer oder Ekstase: Das beeindruckt.

Fünf Longtracks und drei kürzere Stücke befinden sich auf "Para quienes aún viven", wobei die kürzeren Stücke alles andere als Beiwerk sind. Dem Intro "Canción de E" gelingt es beispielsweise, mit einfachen Mitteln eine beklemmende Grundstimmung zu erzeugen. Nach einem fließenden Übergang werden auf "Destruidnos juntos" zum ersten Mal alle Register gezogen: De Elches Wehklagen schwebt dabei über turmhohen Akkordwänden. Wellenförmig schwingt der Song auf und ab, ehe er die Ausfahrt in Richtung Selbstzerstörung nimmt. "El grito del padre" weist die deutlichsten Flamenco-Einflüsse auf, wobei besonders das fein austarierte Zusammenspiel zwischen Gesangs- und Gitarrenmelodien überzeugt. Nicht minder kunstvoll ist der Schlusstrack "Europa muda" geraten, dessen feistes Einstiegsriff sich auch auf einem Amplifier-Album gut machen würde. Unbestrittene Höhepunkte des Albums sind jedoch "Hijos de la rabia" und "Un hombre". Der erstgenannte Song nimmt sich viel Zeit, um ein melancholisches Motiv auszubreiten. Ein fulminantes Crescendo mündet schließlich in einen ergreifenden Schlussteil, dessen Leitmelodie sich tief ins Bewusstsein fräst.

Und "Un hombre" macht schließlich das, was zum Ausgangsgedanken dieses Textes geführt hat: Sprachlos. Auch dieser Zehnminüter ist zweigeteilt: Die an Maserati erinnernde erste Hälfte kreist zunächst minutenlang um ausklingende Akkorde und hastig dahineilende Sechzehntelfiguren, bevor de Elche seine Stimme erhebt. Der Sänger steigert sich von einem kaum hörbaren Wispern in einen fiebrigen Wahn, während um ihn herum das Chaos losbricht. Just, als die Klimax erreicht ist, zerfällt der Song in seine Einzelteile und ein minimalistisches Gitarrenriff übernimmt das Steuer. Was folgt, ist eine fast urtümliche Entfesselung grundlegender menschlicher Emotionen. Ein Urschrei. Exquirla führen auf "Para quienes aún viven", was übersetzt "Für jene, die noch leben" bedeutet, zwei Musikstile zusammen, die nicht weiter voneinander entfernt liegen könnten. Was fürchterlich hätte schiefgehen können, ist nicht nur ein Fest für die Ohren, sondern auch eine Liebeserklärung an die Musik an sich. Hierfür gebührt ihnen Dank und Anerkennung. Auch wenn es wirklich nicht leicht war, diese Dankresrede zu verfassen.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights

  • Hijos de la rabia
  • Un hombre

Tracklist

  1. Canción de E
  2. Destruidnos juntos
  3. Hijos de la rabia
  4. Interrogatorio
  5. El grito del padre
  6. Contigo
  7. Un hombre
  8. Europa muda

Gesamtspielzeit: 59:19 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

captain kidd

Postings: 3584

Registriert seit 13.06.2013

2018-11-26 01:29:33 Uhr
Hatte ich ja die Pitchie-Wertung gut antizipiert, oder Mister X?

captain kidd

Postings: 3584

Registriert seit 13.06.2013

2018-11-05 12:30:07 Uhr
Mehr denn je.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31725

Registriert seit 07.06.2013

2018-11-05 11:30:21 Uhr
captain... du lebst noch? :)

captain kidd

Postings: 3584

Registriert seit 13.06.2013

2018-11-05 00:47:45 Uhr
Das neue Album von Rosalia ist echt... Irgendwie geil. Würde mich nicht wundern, wenn die Pitchi morgen ne 9 zückt. Bei mir derzeit ne gute 8. Weniger traditioneller Flamenco, mehr kühler R&B, Afro Trap und Björk.
Jules
2018-01-20 21:28:39 Uhr
hat leider einen komischen Flow das Album, aber der Gesang ist wirklich über jeden Zweifel erhaben. Manche Silben knallen mehr als was ich weiß ich was.
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