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Degenhardt - Terror 22

Degenhardt- Terror 22

Melting Pot / Harmonie Hurensohn / Groove Attack
VÖ: 11.03.2016

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Dreckspoesie

Wer nicht zufälligerweise über ein ausgeprägtes Faible für den Anbau und die Präparation von Blumenzwiebeln verfügt, wird den Namen "Degenhardt" wohl eher nicht mit einem hundert Jahre alten Familienunternehmen verbinden. Wahrscheinlich denkt man dafür nicht nur in eher linksorientierten Kreisen, in denen Franz Josef Degenhardt Kultstatus genießt, eher an den 2011 verstorbenen Liedermacher. "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" ist der wohl bekannteste Ausspruch des Westfalen und wer diesen zu wörtlich nimmt, sollte sich nie mit Degenhardt, dem Experimental-HipHop-Act bzw. dem Singer-Songwriter-MC, sowie dessen Debüt "Terror 22" beschäftigen. Schließlich ist er quasi der Inbegriff des gesellschaftlich verwahrlosten Schmuddelkindes: Rau, dreckig, ungehobelt und doch liebenswert. Der Masken- und Bartträger begann im Untergrund bereits 2010 seine Karriere und veröffentlichte mehrere EPs, die allesamt auf seiner Website gegen einen Freibetrag heruntergeladen werden können. Im Zuge des offiziellen Langspielerdebüts hat er sich weitere bodenständige Varianten ausgedacht: Wer ihm die beste/bescheuertste Interviewfrage stellt, bekommt genau so ein Exemplar wie jeder, der ihm im Gegenzug ein selbstgemachtes Stück Kunst zukommen lässt. Klingt doch eigentlich nach einem recht netten Schmuddelkind, oder?

Ein strahlender Grinsepo mit süßer Tiermaske ist Degenhardt aber bei weitem nicht, gerade lyrisch zieht er den Hörer immer wieder in seine Welt voller abgefuckter Stimmen im Kopf, aus Fernsehen, Musik, Film, die aus dem Kontext gerissen in seine "Musik zum frische Narben verbinden" montiert eine völlig eigene Dynamik entwickeln. "Ich sag keine bücherschlauen schönen Wörter / Ich sag Biertrinken und träumen und mal Herzen und das wars / All die Kreuz-und-quer-Konzept-Songs / Seit wann kommen Fremdwörter von Herzen / Am Arsch." Ja, derb geht es die ganze Spielzeit lang zu, es gibt stets auf die Fresse, aber wenn sich doch irgendwo zärtliche Zeilen einschleichen, dann weiß man, wie viele Gefühle mitschwingen und schließt sie umso mehr in das schmerzende Herz. Eier hat der Rapper definitiv, weshalb "Terror 22" auch nicht nur was für Nerds, die alle Referenzen von "American Horror Story" über "House of cards", "Ted", "Der Pinky und der Brain" bis zum Werther auch verstehen, ist, sondern sich an alle richtet, die keinen Bock mehr auf diesen "Kunstlyrik-HipHop-Drecksscheiß" haben.

Meist wird diese Anti-Haltung in eher sperrigen Tracks wie "Raus 4" oder dem knapp 14 Minuten langen und mit einer ca. fünfminütigen Pause versehenen Closer ausgedrückt, wobei es mit "Ich töte Spione" auch hymnischere Momente gibt. Die lyrisch wohl stärksten Stücke "Ideal Standard" und "Sex, Drugs & Arbeitsmoral" zeigen dabei, dass Degenhardt neben allen Referenzen und Einspielern auch eigene gewaltig-poetische Momente erschaffen und mit den großen Themen wie Liebe, Melancholie oder Systemkritik verknüpfen kann. "Terror 22" ist eine Collage für "Wunderbare Menschen, asozial, aber kokett", die nur im Gesamtbild wirklich funktioniert und bei der man nur schwer einzelne Teile von den anderen hervorheben kann. Besonders interessant daran: Die vielen verschiedenen Parts fallen trotz all der Ausbrüche in jene oder solche Richtung am Ende nie auseinander, stattdessen wirken sie wie eine groteske Handarbeit. Und wenn sich ein Berserker wie Degenhardt immer wieder nach einer heilen Welt der Marke Disney sehnt, dann macht ihn das auch noch selbst umso angreifbarer. Umso geiler aber auch.

(Marcel Menne)

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Highlights

  • Sex, Drugs & Arbeitsmoral
  • Fett & rosig
  • Fuck off

Tracklist

  1. Boiler
  2. Sex, Drugs & Arbeitsmoral
  3. Fett & rosig
  4. Raus 4
  5. Ich töte Spione
  6. Ideal Standard
  7. Fuck off
  8. Mickey Mouse ist eine Ratte
  9. Rattenkönig
  10. Dr. Sommer
  11. INZFTZ
  12. Lächeln töten lächeln
  13. XX

Gesamtspielzeit: 60:24 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
king kunta
2016-06-17 18:00:38 Uhr
hätte nicht gedacht, dass mich ein deutschrap-album noch mal begeistern könnte. wunderbar düster, abstrakte beats und verstörende soundschnipsel. herrlich. muss irgendwie an brainfeeder/jeremiah jae denken. der opener ist jedenfalls genial. erinnert mich an earl sweatshirts "grief".

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26286

Registriert seit 08.01.2012

2016-04-06 20:59:52 Uhr
Frisch rezensiert.

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