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Låpsley - Long way home

Låpsley- Long way home

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 04.03.2016

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Pop perfekt

Es ist ein Kreuz für den modernen Menschen: Fortschritt allerorten, aber kein Fortkommen. All der Zukunftsmüll, der sich da staut, das Atmen erschwert, die Synapsen verstopft. Dass die Landflucht in der Literatur und im Folk des letzten Jahrzehnts keine dauerhafte Lösung darstellen konnte, war eigentlich klar. Bleibt nur noch eins: der Weg ins Introvertierte, in die unsichtbaren Räume, in das Aleph. Dorthin also, wo wieder alles möglich sein kann, wo Platz für Leerstellen im Sound ist, für Lücken, die der Hörer selbst füllen muss. Wer seine Erlösungshoffnungen noch nicht komplett vor ein paar Jahren für James Blake verbrauchte, darf sie nun gerne in die 19-jährige Britin Holly Lapsley Fletcher setzen. Denn noch nie hat jemand die Gegenwart so vollendet eingefangen, so einen eigenständigen kristallinen Klang auf ein Debüt gebannt.

Im Kindesalter lernte sie Oboe, später Klavier und Gitarre. Klassik eben, wozu Eltern ihre Kinder so motivieren können. Mit 14 Jahren zog es sie dann zu den Gigs von Künstlern wie Joy Orbison und Boodika. Elektronik eben, womit man seine Eltern in diesem Alter so schocken kann. Und ja, das findet sich heute alles in ihren Songs. Als Produzentin hat Låpsley auf diesem Album einen herausragenden Spannungsbogen geschaffen. Alleine der Bass von "Cliff" erschüttert alles, die ganze Rhythmik hallt in die Unendlichkeit nach. Darüber legt sie ein paar Effekte, Überreste einer Melodie und ihre Stimme. Dagegen verdrahtet "Love is blind" dann Pop, R&B und Pathos, fährt im Refrain den ganz großen Moment auf. Dazu braucht Låpsley nicht einmal ein Orchester. In "Tell me the truth" lässt dann das Klavier den Beat erbeben, bevor sich alles wieder auf Elektronik dreht. Das Porträt der jungen Frau als Künstlerin – sie wusste einfach sehr genau, was sie wollte.

"Manchmal mache ich mir sorgen, dass ich zu viel sage. Aber es schreibt sich einfacher über die Dinge, die ich gerade im Kopf habe", sagte sie in einem Interview. Das Unmittelbare, das Direkte findet sich hier in jeder Sekunde. Die eigene Verletzlichkeit holt Låpsley in ihren Texten immer wieder hervor. Die Welt schmerzt – auch im eigenen Inneren. Schade eigentlich. Jedoch lässt es sich hier ganz gut aushalten, solange Låpsley den Soundtrack dazu liefert. "Operator" gräbt sich dann knietief in die Tanzfläche ein. Der Song ist mehr Disco als jedes Rollschuhpaar aus den Siebzigern. Denn es geht hier auch ein Stück um die Aussöhnung mit dem Pop, die Zurückgewinnung der Unschuld. "Hurt me" versinkt hilflos in seinem eigenen Selbstmitleid, blutet vier Minuten vor sich hin. Dazu singt Låpsley schweren Herzens: "If you gonna hurt me why don't you hurt me a little bit more?" Der Rest dürfte mal eben das beste Instrumental seit langer Zeit im R&B sein. Das macht Låpsley hier so wunderbar: Es funktioniert auf jeder Ebene.

Seit langem dürfte kein Album so makellos und so selbstsicher so unterschiedliche Aspekte in einem Sound verknüpft haben wie "Long way home". Fröhlichkeit, Traurigkeit, Abgrund, Oberfläche, Wellen, Abgründe – in jedem Moment kann Låpsley hier eine Drehung machen. Auf den Herzschmerz folgt mit "Cliff" textlich ein kleines Stück über den Tod, auf das vom Klang reduzierte "Station" folgt die große Bühne mit "Love is blind". Der Rückzug in diesen Raum, der zwischendurch sogar Ambient und Elektronika zulässt, das Introvertierte macht "Long way home" zu einem Meisterwerk, einem Album, auf dem Låpsley einfach jeden Punkt, jeden Ton, jede Melodie perfekt gesetzt hat. Sei hier nur die Erkenntnis, dass wir mit unserem Schmerz nicht alleine sind: Ein kleiner Trost ist ein Trost. Und selbst wenn Låpsley einem das Herz in "Painter" bricht – schöner geht es nicht.

(Björn Bischoff)

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Highlights

  • Hurt me
  • Cliff
  • Tell me the truth
  • Love is blind

Tracklist

  1. Heartless
  2. Hurt me
  3. Falling short
  4. Cliff
  5. Operator
  6. Painter
  7. Tell me the truth
  8. Station
  9. Love is blind
  10. Silverlake
  11. Leap
  12. Seven months

Gesamtspielzeit: 47:08 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Kai

User und News-Scout

Postings: 2794

Registriert seit 25.02.2014

2023-05-19 20:55:51 Uhr
So lange nicht mehr gehört. Immer noch tolles Album

0811Jan

Postings: 40

Registriert seit 13.06.2013

2016-03-22 17:56:08 Uhr
Hatte ich schon gar nicht mehr auf dem Schirm, die Euphorie nach der Plattentestwertung war groß. Am Ende reichts bei mir aber "nur" für eine gute 7/10.

Mir gefallen die reduzierten Songs wie Painter oder Station immernoch am besten. Hurt me geht auch sehr gut. Hier und da ist mir das zu poppig geworden, und hintenraus wirds ein bisschen lahm.
Hoschi
2016-03-16 14:36:05 Uhr
Klarer Fall von überschwänglicher Euphorie :)
Ziemlich langweiliges Songwriting und vorhersehbare Arrangements von einer nicht ganz talentfreien Musikerin.
Mir gefällt ausschließlich Heartless.
Der Rest dümpelt gelanweilt vor sich hin.
Meine persönliche Wertung 5/10.

Bin aber auch mit James Blake nie so richtig warm geworden.
Wie man elektronische Musik + Pop paart und richtig anpackt zeigt z.B. Imogen Heap bzw. Frou Frou.

badpit

Postings: 157

Registriert seit 20.07.2013

2016-03-07 13:07:17 Uhr
fürchterliche musik

Dan

Postings: 363

Registriert seit 12.09.2013

2016-03-07 11:40:06 Uhr

Ich mag sie zwar und das Album, eine 9 finde allerdings selbst ich etwas zu hoch gegriffen.
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