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Tüsn - Schuld

Tüsn- Schuld

Vertigo / Universal
VÖ: 12.02.2016

Unsere Bewertung: 3/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Schwere Nötigung

Tüsn ist wider Erwarten kein Ikea-Regal, sondern eine deutsche Band. Wobei die Berliner mit dem schwedischen Möbelbausatz-Imperium eine Gemeinsamkeit teilen: Sie verfolgen eine geschickte Marketingstrategie. Geheimniskrämerei wird mit Düster-Ästhetik kombiniert, nicht einmal die vollen Namen der Mitglieder darf die Welt erfahren. Sänger Stefan, der sich auch "Snöt" nennt, Bassist Daniel und Schlagzeuger Tomas gelingt so das Kunststück, interessanter zu wirken, als sie es sind. Dabei fängt ihr Erstling gar nicht mal so übel an: "Humboldt" wird zunächst von federleichten Klavierakkorden getragen, ehe sich der Opener zu einem mitreißenden Refrain aufschwingt. Zwar stört schon hier der pathetische Gestus, was man angesichts des gelungenen Arrangements jedoch geflissentlich ignorieren kann.

Was folgt, ist ein stetes Auf und Ab zwischen Wave-Gotik-Kitsch, Schlagerparade und Synthiepop, der gerne Depeche Mode wäre, aber nicht über And One hinauskommt. Gerade die teils hanebüchenen Texte machen es unmöglich, der Musik ohne Schmerzen zu folgen. Kostprobe aus "Frieden": "Hört auf mit den Kriegen / Wann kommt der Frieden?". Selbst Rolf Zuckowski hätte sich da mehr Mühe gegeben. Aber es geht ja um die Message, und die soll möglichst allgemeinverständlich sein. Auch in emotionaler Hinsicht: "Wenn Du und ich uns vielsagend berühren", dann weckt das Mitleid mit der Besungenen. Doch es gibt kein Erbarmen: "Schau Dich mit meinen Augen an / Und versteh, wie schön Du bist / Fass Dich mit meinen Händen / Und erleb wie groß das ist". Kein Wunder, dass Snöt "Ewig allein" bleiben muss.

Die Keyboards jubilieren, der Uffta-uffta-Rhythmus galoppiert. Sich apathisch mitklatschende Menschenattrappen hinzuzudenken, kostet wenig Fantasie. Der Fluchtreflex wird von Takt zu Takt größer: Aber: "Das Fleisch ist willig / Der Geist ist schwach." Wer so viel fühlt wie Snöt, muss zur Selbsterhaltung alle Schleusen öffnen. Und das Portemonnaie gleich mit: "Ich hab' dir Blumen mitgebracht", nölt er in "Sturm", was höchstens Floristen erfreuen dürfte. Dabei muss man Tüsn zugestehen, dass sie genau in jene Lücke hineingrätschen, die Unheilig hinterlassen haben, ohne dabei die allumfassende Grässlichkeit seiner Durchlaucht auszustrahlen. So sind Songs wie "Wasser" und "Duschen" musikalisch durchaus erträglich, die überkandidelte Vortragsweise des Vokalisten zertrampelt jedoch auch hier jede aufkeimende Hoffnung.

Textlich regiert Fremdscham: "Ich erkunde mein Selbst / Brauche mich niemandem Fremdes erklären / Ich bin endlich intim / Kann mich vom Dreck aller Demut befreien", jodelt der Sänger völlig losgelöst. Viel prätentiöser kann man auf Deutsch kaum Verse schmieden. Frustsaufen ist deshalb eine attraktive Kompensationsstrategie: "Reden ist Silber / Tanzen ist Gold" lautet die Devise. Aber auch das will nicht so recht gelingen – zu klebrig, zu blasiert ist das Getöse. Was Herz und Seele berühren soll, erzeugt nichts außer Befangenheit. Das ist Musik für Leute, die in sozialen Netzwerken Sprüche der Marke "Ich bin nicht kompliziert, sondern eine Herausforderung" teilen. "Ihr liebt mich jetzt", fordert Stefan zum Schluss quengelig. Nein, tun wir nicht.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights

  • Humboldt

Tracklist

  1. Humboldt
  2. Ewig allein
  3. Zwang
  4. Schuld
  5. Hannibal
  6. In schwarzen Gedanken
  7. Sturm
  8. Frieden
  9. Schwarzmarkt
  10. Duschen
  11. Wasser
  12. Ihr liebt mich jetzt

Gesamtspielzeit: 47:43 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Was geht hier ab?
2016-11-11 00:56:57 Uhr
Pop? Elektro? Schlager? Hier wurden so einige Gengre verwrustet. Herausgekommen ist meiner Meinung nach ein einzigartiger Musikstil.
Auch ich finde ein paar Stellen durchaus irritierend, andere Passagen gehen einfach nur auf sehr angenehme (und nicht triviale) Weise ins Ohr!
Diese Band kann man ganz sicher nicht in eine Schublade stecken (und finde sie live auch noch deutlich besser...) - in CD muss man sich reinhören!
xxb
2016-04-21 23:03:13 Uhr
Sind Ex Mitglieder der 5Bugs.

Watchful_Eye

User

Postings: 2774

Registriert seit 13.06.2013

2016-03-08 15:03:55 Uhr
"Selbst Rolf Zuckowski hätte sich da mehr Mühe gegeben."

Den Vergleich finde ich unfair. Rolf Zuckowski hat Musik für Kinder geschrieben. Natürlich sind die Texte dann entsprechend einfach gehalten.
rotz
2016-03-02 11:45:37 Uhr
ROTZ

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26286

Registriert seit 08.01.2012

2016-02-26 21:57:56 Uhr
Frisch rezensiert.

Meinungen?
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