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Jean Michel Jarre - Electronica 1 - The time machine

Jean Michel Jarre- Electronica 1 - The time machine

Columbia / Sony
VÖ: 16.10.2015

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

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Wie einfach ist es doch, über manche Künstler zu lästern. Denn natürlich stand Jean Michel Jarre mit seinen ohrenschmeichelnden Synthesizer-Melodien immer im Spannungsfeld zwischen Fahrstuhl und Revolution. Fahrstuhl, weil der Franzose nun doch allzu oft in die Weichspülerkiste gegriffen hatte, mit erstaunlicher Akribie jeden noch so kleinen Ansatz von Widerhaken abgehobelt hat. Aber eben auch Revolution: Er ist der erste westliche Pop-Musiker, der in China auftreten durfte, der erste Musiker, der mehr als eine Million Zuschauer zu einem einzigen Konzert locken konnte – und der mit dem programmatischen "Revolutions" 1988 aber auch brettharten Techno liefern konnte. Von der feinen Selbstironie des Albums "Music for supermarkets" von 1983 einmal abgesehen, das mit exakt einem gepressten Exemplar wohl auf ewig die größte Rarität im Business bleiben dürfte.

Nun ist Jarre nicht nur ein unbestritten großartiger Performer, sondern auch mit mittlerweile 67 Jahren mit einem beeindruckenden musikalischen Hintergrund gesegnet. Und da die letzten Alben entweder katastrophal schlecht – zum Beispiel das mit Samples aus der Standardbibliothek von Roland angereichterte "Téo & Téa" von 2007 – oder katastrophal erfolglos waren wie "Métamorphoses" 2000, hat Jarre nun wahrlich nichts mehr zu verlieren, wenn er wie so manch anderer Künstler auf der Zielgeraden seiner Karriere ein Album voller Kollaborationen mit anderen Musikern ankündigt. Nur: Es wäre nicht Jarre, wenn sich die Kollaborationen auf nicht weniger als 30 Songs beliefen, sinnvollerweise auf zwei Alben gestreckt. Und "Electronica 1 - The time machine" besticht direkt durch sein Namedropping. Denn Namen wie Vince Clarke, Moby, Pete Townshend, John Carpenter oder Lang Lang auf einer Platte zu versammeln, das will erst einmal koordiniert werden.

Noch viel spannender wäre das jedoch, wenn sich Jarre nicht dazu entschieden hätte, seinen jeweiligen Partnern die Songs auf den Leib zu schreiben, sondern die Energie aus der künstlerischen Reibung viel mehr nutzen würde. Na klar, das Ganze beginnt stark, mit einem kühnen Schwenk vom schroffen Techno, den Boys Noize "The time machine" einhauchen, bis hin zu den flirrenden beiden "Automatic"-Teilen, die so unverkennbar nach Vince Clarke klingen, wie es eben nur der Depeche-Mode-Urvater selbst kann. Umso erschütternder ist dann so eine gequirlte Grütze wie "If..!" mit seinen Singalong-Samples, umso unglaubwürdiger der Stampfer "Travelator (Part 2)" mit Pete Townshend, dessen Scooter-artiges Geholze selbst dem einfältigsten Karussellbremser auf der Dorfkirmes die Schamesröte ins Gesicht treiben dürfte.

Welch eine Wohltat ist dem gegenüber die kühle Düsternis, die der französische Jungstar Gesaffelstein mit "Conquistador" verbreiten kann, wie herrlich entrückt und in der Rückschau wehmütig "Zero gravity", der wohl letzten Aufnahme, die Tangerine-Dream-Vordenker Edgar Froese vor seinem Tod im Januar 2015 eingespielt hat. Doch über allem strahlt "Stardust", der Song, der wohl am ehesten nach Jarre zu "Oxygene"-Zeiten klingt – ein Umstand, der hier von Armin van Buuren weidlich ausgekostet wird. Wäre Jarre über die gesamte Spieldauer so inspiriert gewesen, es wäre dem gefeierten Pianisten Lang Lang wohl erspart geblieben, zu "The train & the river" wie ein sedierter Robert Miles vor sich hin zu klimpern.

Was also soll "Electronica 1 - The time machine" nun sein? Eine Werkschau sicherlich nicht, zumal Jarre im Laufe seiner Karriere mehr als nur eine Compilation auf den Markt werfen ließ. Nicht eben zu seinem Vorteil, aber das nur am Rande. Ein Experiment bleibt der "Electronica"-Zyklus sicherlich. Und trotz einiger Ausfälle ist dieses Experiment auch alles andere als fehlgeschlagen, zumal der für das kommende Jahr geplante, zweite Teil bereits Namen wie Hans Zimmer oder Gary Numan ankündigt. Vor allem aber ist "Electronica 1 - The time machine" eine handfeste Überraschung. Denn das Lästern über das vermeintlich nächste uninspirierte Geblubber aus der Altsampler-Sammlung bleibt über weite Strecken im Halse stecken – und weicht erstaunter Anerkennung.

(Markus Bellmann)

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Highlights

  • Automatic (Part 2) (feat. Vince Clarke)
  • Conquistador (feat. Gesaffelstein)
  • Stardust (feat. Armin van Buuren)

Tracklist

  1. The time machine (feat.Boys Noize)
  2. Glory (feat. M83)
  3. Close your eyes (feat. Air)
  4. Automatic (Part 1) (feat.Vince Clarke)
  5. Automatic (Part 2) (feat. Vince Clarke)
  6. If..! (feat. Little Boots)
  7. Immortals (feat. Fuck Buttons)
  8. Suns have gone (feat. Moby)
  9. Conquistador (feat. Gesaffelstein)
  10. Travelator (Part 2) (feat. Pete Townshend)
  11. Zero gravity (feat. Tangerine Dream)
  12. Rely on me (feat. Laurie Anderson)
  13. Stardust (feat. Armin van Buuren)
  14. Watching you (feat. 3D)
  15. A question of blood (feat. John Carpenter)
  16. The train & the river (feat. Lang Lang)

Gesamtspielzeit: 68:27 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Rainer
2016-03-19 17:53:18 Uhr
Wer war auf Konzert von ihm.
Lohnt sich das? Ist ja dieses Jahr wieder auf Tournee.
Ich denke immer sowas wie Kraftwerk oder J.M. Jarre kann man genauso gut auf Platte hören. Konzerte braucht von denen kein Mensch.
Wer hat Erfahrungen?

musie

Postings: 3757

Registriert seit 14.06.2013

2015-10-22 07:45:27 Uhr
Finde die Rezi und auch das Album - bis auf die paar erwähnten Abstriche - erfreulich gelungen und abwechslungsreich. Die aufgeführten Highlights sind auch meine Favoriten. Das beste Lied auf dem Album ist aber für mich Immortals mit den Fxxk Buttons.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26286

Registriert seit 08.01.2012

2015-10-21 22:17:40 Uhr
Frisch rezensiert!

Meinungen?

Plattenbeau

Postings: 976

Registriert seit 10.02.2014

2015-10-19 18:57:15 Uhr
Eben, er hatte seine Zeit und Relevanz hauptsächlich zwischen 1976 und 1981. Etwas neues von ihm ist eigentlich nicht wirklich nötig, außer für hartnäckige Fans und das Konto.

"Immortals" finde ich aber ehrlich gesagt auch ganz verführerisch. Das sind wohl diese, von Pitchfork beschriebenen, "emotional-button-pushing chord changes".

nörtz

User und News-Scout

Postings: 13874

Registriert seit 13.06.2013

2015-10-19 18:43:34 Uhr
Kannst ja mal versuchen, das mit Eso- oder Technoklängen zu verbinden. Wobei; das hat der Oldfield doch schon selbst verbrochen. ^^
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