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Modest Mouse - Strangers to ourselves

Modest Mouse- Strangers to ourselves

Columbia / Sony
VÖ: 13.03.2015

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Zukünftige Erinnerungen

Das Album von einer erklärten Lieblingsband zu rezensieren, hat seine Vor- und Nachteile. Modest Mouse sind 22 Jahre alt, ihr Debüt "This is a long drive for someone with nothing to think about" erschien 1996, da war ich nicht mal zehn Jahre alt. Ich habe ihre Karriere also nicht von Anfang an verfolgt, nicht mal ganz die Hälfte, und dennoch bedeutet mir das Sextett aus Washington mehr als viele andere Bands. Ihr viertes Album, "Good news for people who love bad news" von 2004, eines der wenigen Werke, die auf Plattentests.de mit einer 10/10 gewürdigt wurden, begleitete mich den ersten Uni-Sommer in einer fremden Stadt weit weg von daheim. Ich erinnere mich daran, wie ich zu "The world at large" im Zug in das Unbekannte saß, wie ich zu "Blame it on the tetons" abends Feierabend machte, nachdem ich stundenlang meine Sachen in die kleine Studentenwohnung geschleppt hatte. Wie ich mit "Bury me with it" auf den Ohren verzweifelt durch die Uniflure gerannt bin und den richtigen Raum gesucht habe. Wie ich zu "Float on" die Altstadt erkundet habe und zu "Ocean breathes salty" verwackelte Bilder von unscharfen Fremden an der Regnitz machte – oder war es andersrum?

Wenn man einer Band so nahesteht und mit ihr solche Erinnerungen hat, ist das, als würden sie zum Freundeskreis gehören. Acht Jahre habe ich, wie viele andere auch, auf ein Lebenszeichen meiner Kumpels gewartet. Ich war hocherfreut, als sie endlich, endlich, endlich den Nachfolger zu "We were dead before the ship even sank" ankündigten und dachte, dass Modest Mouse mich ja eh nie enttäuschen könnten. Dann kamen erste Zweifel: Was, wenn sie es doch konnten? Wenn "Strangers to ourselves", ihr sechstes Album, nicht so toll würde, wie ich es haben wollte? Die Erwartungshaltung, die man an eine Band stellt, die man immer großartig fand, legt einem Steine in den Weg. Man will das Album mögen, und mehr, man muss es lieben, sonst sind auch die schönen Zeiten von früher nur noch halb so schön. Oder? Nein. Längst nicht alles auf "Strangers to ourselves" ist grandios, vor allem seine übermäßige Länge von 15 Songs und fast einer Stunde Spielzeit ist schlicht zu viel, zu massig, mit zu wenig Nährwert. Ein paar der Ideen hätten noch einen abschließenden Funken gebrauchen können, dafür sind ein paar ganz klassische Modest-Mouse-Stücke dabei, die man auch früher schon liebte. Und mit dem supernervigen und komplett aus der Reihe tanzenden "Pistol (A. Cunanan, Miami, FL. 1996)" vielleicht der eine Song von der Band rund um Sänger Isaac Brock, den man lieber schnellstens vergessen möchte. Nur keine Panik! Es ist der einzige. Einer von 15. Das kann man verkraften.

Bleiben wir beim Positiven: Nachdem sich Modest Mouse mit dem von Streichern getragenen, melancholisch-ruhigen Titeltrack als Opener an einem zumindest kleinen, aber geglückten Experiment versucht haben, geht die erste Single "Lampshades on fire" auf Nummer sicher. Fast scheint es so, als wären sie nie weg gewesen: Brock probiert sich immer noch als milchweißer Rapper, die Band musiziert eine Mischung aus Funk und Ska zusammen, die "Ba ba ba"s aus "The world at large" feiern mit Pauken und Trompeten ein willkommenes Comeback. Ein-, aber auch aufdringlicher kommt hingegen der Disco-Punk von "The ground walks, with time in a box" daher, dessen Bläsersektion zur Mitte hin fast schon jazzige Züge anzunehmen vermag, bevor Modest Mouse das Stück die letzten zwei Minuten als durchgedrehtes Instrumental ausfaden lassen. Im Vergleich dazu klingt "Coyotes" anfangs beinahe schon zurückhaltend, ehe der euphorische Refrain einsetzt und man das wirklich gelungene Musikvideo gesehen hat. Dagegen fällt "Wicked campaign" trotz ordentlich Pop-Appeal etwas flach ab, während die nicht mal ganz eineinhalb Minuten lange Lagerfeuer-Schunkelatmosphäre von "God is an Indian and you're an asshole" eigentlich ein bisschen unnötig ist.

Schwierig wird es auf "Strangers to ourselves" immer dann, wenn Brock & Co. aus der von ihnen selbst entworfenen Schablone auszubrechen versuchen. "The tortoise and the tourist" mit seinen eingestreuten und schlicht anstrengenden Schreien geht beim zweiten, dritten Hördurchgang langsam die Luft aus, während das nach links und rechts ausschweifende "Sugar boats" sich scheinbar am irren "Dance hall" von "Good news for people who love bad news" orientiert, aber nicht über den Status einer eher lauwarmen Neuauflage hinauskommt. Und dann wäre da eben auch noch das bereits erwähnte "Pistol (A. Cunanan, Miami, FL. 1996)", nach dessen Durchlauf sich kaum zählen lässt, wie viele Nerven in den vergangenen knapp vier Minuten abgestorben sind. Was offensichtlich eine Parodie auf den Plastik-HipHop-R'n'B-Pop sein soll, der seit Jahren die oberen Plätze der Charts blockiert, bleibt auf "Strangers to ourselves" vor allem eines: unhörbar. Der Blick auf die "Skip"-Taste bleibt hingegen nicht nur ein solcher, die Lösch-Bestätigung ist nur noch einen Klick entfernt. Umso besser, dass mit "Ansel" sofort ein mehr als nur annehmbarer Track wartet, der zwar mitnichten zu den großen Highlights der Band insgesamt zählt, rein von der Stimmung aber auch bestens auf die schöne EP "No one's first and you're next" von 2009 gepasst hätte.

Kollege Holtmann bemerkte ganz passend: Wären hier nur die zehn besten Songs vertreten, hätte "Strangers to ourselves" mehr als nur ein sehr gutes Album werden können. So bleibt es nicht nur ein sehr langes, sondern eben auch eines mit kleinen Abstrichen. Das ist gerade den letzten beiden Stücken gegenüber nicht ganz fair: Der entspannte Rock von "The best room" verdient mehr Aufmerksamkeit, als ihm nach 50 Minuten in den letzten Zügen noch gegeben wird, und das düstere "Of course" ist fast zu schwer, um als Abschlusssong wirklich gut zu funktionieren, bringt dank einer Megaportion Drama dem Sympathie-Konto von Modest Mouse aber noch ein paar Extrapunkte ein. Nach einer Stunde ist klar: "Strangers to ourselves" ist kein zweites "Good news for people who love bad news" oder "We were dead before the ship even sank". Aber auch kein weiteres "The moon & antarctica", kein "The lonesome crowded West", kein "This is a long drive for someone with nothing to think about". Es ist ein eigenständiges Album, das auch seine Chance im nächsten Sommer bekommen wird, und dessen Songs – wenngleich nicht alle – ihre eigenen kleinen, schönen Erinnerungen schaffen werden. Ich freue mich drauf.

(Jennifer Depner)

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Highlights

  • Lampshades on fire
  • Shit in your cut
  • Ansel
  • Coyotes
  • The best room

Tracklist

  1. Stranger to ourselves
  2. Lampshades on fire
  3. Shit in your cut
  4. Pistol (A. Cunanan, Miami, FL. 1996)
  5. Ansel
  6. The ground walks, with time in a box
  7. Coyotes
  8. Pups to dust
  9. Sugar boats
  10. Wicked campaign
  11. Be brave
  12. God is an Indian and you're an asshole
  13. The tortoise and the tourist
  14. The best room
  15. Of course we know

Gesamtspielzeit: 57:12 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Fiep

Postings: 1203

Registriert seit 29.04.2014

2020-10-17 16:47:33 Uhr
Bei the best room und dem closer versteh ich wie wer die richtig mögen kann.

Nur bei shit in your cut verstehe ich nicht wies dazu kommt. Ich finde es besser als pistol, aber bei pistol könnt ich irgendwie trotzdem mehr verstehen wies wem gefällt.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

2020-10-17 16:25:03 Uhr
Den Closer find ich ja richtig, richtig stark, damit konnten sie an alte Großtaten anknüpfen. Ebenso "The ground walks..." und "The best room", auch "Shit in your cut" mochte ich irgendwie immer. Ansonsten wirklich ne herbe Enttäuschung damals, hab das Album aber auch seit Ewigkeiten nicht mehr am Stück gehört...

Fiep

Postings: 1203

Registriert seit 29.04.2014

2020-10-17 16:08:39 Uhr
Heute wieder ausgegraben, hatte es ja nicht so gut in erinnerung.

Strangers to Ourselves:
Irgendwie gibt mir der immer noch nichts.

Lampshades on Fire: Classische single, wie Float on und Dashboard. Nicht viel auszusetzen, aber auch keine große neuerung. Darf aber auch sein, und passt hier.

Shit in Your Cut:
Ich mag den part mit "i think i'll ride this winter out", und die gitarre die in der hälfte einsetzt ist gut, aber als ganzes... zu wenig. Er ist nicht beleidigend schlecht, aber einfach nur...fade, langweilg.

Pistol:
Der war ja kontrovers.
Der effekt auf der stimme ist unnötig. Klingt nicht gut. Ne, die effekthascherei ist schlecht, lyrics sprechen mich nicht an, jahre danach: ne, ich find den wirklich einfach nur schlecht. Alles was gut währe ist in so viel miesem getränkt, das der für mich nciht mehr zu genießen ist.

Ansel:
Und da sind wir dan aber auch wieder oben. Ansel ist ein toller song, die kitschigen steel drums passen schön kontrastreich zu dem traurigem thema. Bisheriges highlight, so einen track hatten sie nicht, und er ist aber auch noch gut.

The Ground Walks, with Time in a Box:
einer der progresiveren modest mouse tracks, hat was von Talking Heads. Gefällt sehr.

Coyotes:
Als single war er etwas underwelming, ist dann aber doch gewachsen und mittlerweile mag ich ihn sogar sehr. Wenn auch etwas plump was die struktur angeht. (dem hätte 1 minute mit mit längeren strophen besser getan)

Pups to Dust:
Default Modest mouse, erinnert an die schwächeren stücke von Good News / We were dead, nur mit bissloserem songwriting.

Sugar Boats:
das "devils workday" des albums... etwas chaotisch, das klavir gefällt mir nicht. Keine ahnung, mir gefällt hier auch der gitarrenklang nicht. Ich kann nicht sagen was falsch läuft, aber eh.

Wicked Campaign:
Modest mouse do bleached indie poprock inspired by coldplay and stuff.

Be Brave: We were already dead.
Könnte genauso auf dem album drauf sein.
Nur mit etwas weniger feinheiten.

God is an Indian:
eh, hatten bessere interludes, erinnert an eine schlechtere variante von "Wild Packs of Family Dogs".

The Tortoise and the Tourist:
Slow start, hier gefällt mir der text.
Erinnert mich ein fünkchen an Whale song.
Aber auch hier währe mehr drinnen gewesen mit etwas mehr biss.

The best room:
Fällt etwas unbeholfen durch die tür nach dem letzten. Nichts auszusetzen, modest mouse by numbers, aber einer der besseren versuche am album.

Of course we know:
Der track versucht viel, und ich sehe wohin sie wollten... aber ich finde nicht ds sie es geschaft haben. Für atmosphäre zu dick, als song zu unfokusiert.

Highlights: Lampshades, Ansel, The Ground Walks, Coyotes, The Tortoise
Ok bis langweilig: Strangers, Pups to Dust, Sugar Boats, Wicked Campaign, Be Brave, The Best Room, Of Course We Know
Schlecht:
Shit in your cut, Pistol, Dog is an Indian


In summe: immer noch nicht gut.
Die experimente waren großteils fails, und die klasischeren songs waren vom songwriting/den melodien nicht auf dem level der alten. Markant und eingängig konnten sie früher besser innerhalb eines tracks verbinden. Ein paar starke momente, in summe ganz okay, aber ich würde eher 6 sagen, zu viel langweiliger filler, und 3 wirklich schlechte tracks (eig 4, sugar boats finde ich persönlich anstrengend).


Bonus:
Das ja 3 Singles gab seitdem, die anscheinend doch zu keinem Album gereicht haben:
Poison the Well:
Fängt größer an, wird dann aber Dashboard 3.0
Oder Float On 4.0?
Ganz okay, fand ein paar der live versionen besser, weil dreckiger.

Im still Here:
hm, Modest Mouse auf The Clash?
Wär n guters interlude zwischen 2 größeren songs, alleine stehend etwas ...unscheinbar. Aber ganz nett.

Ice Cream Party:
Tip Top. Lyrics sind die hälfte des Sieges. Die andere ist die synth line im hintergrund.
Gefühlt schaffen sie hier was sie auf "Stranger" und "Of Course we know" nicht geschaftn haben...wen die Songs vergleichbar sind. Der track wirkt etwas free form, truckers atlas oder dramamine zieh ich hier mal als vergleich.


Nach den 3: das nächste album, wäre es zustande gekommen, wäre Stranger wohl sehr ähnlich. Die produktion braucht definitiv wen der da etwas mit dem messer rangeht und das ganze etwas strammer gestaltet. Soweit ich weiß war Strangers selbstproduziert, und so klingt es auch: muddy. Die 3 singles danach klingen auch nicht anders.


Kurz: Brock braucht einen Produzenten und Editor der ihm gegensteuert und herausfordert, das da noch ein gutes Album zustande kommt, den hier und da sind noch gute Ideen vorhanden.

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9320

Registriert seit 26.02.2016

2019-11-15 12:27:53 Uhr
Ich glaube, zwei Songs kamen schon das Jahr über, muss aber gestehen, dass ich nicht reingehört habe. Irgendwie ist mir die Band nicht mehr so wichtig, woran "Strangers" sicher seinen Anteil hat.

Blablablubb

Postings: 493

Registriert seit 20.04.2014

2019-11-15 12:12:19 Uhr
Neues Lebenszeichen: Gibt nen neuen Song auf Spotify seit heute.

Hieß es eigentlich damals nicht das relativ zeitnah zu "Strangers to ourselves" ein Nachfolger kommen soll? ;) Wie die Jahre vergehen...
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