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The Dismemberment Plan - Uncanney valley

The Dismemberment Plan- Uncanney valley

Partisan / Rough Trade
VÖ: 18.10.2013

Unsere Bewertung: 5/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Der Überraschungseffekt

Zwischen all den erwartbaren Comebacks rund um die 1990er Jahre ist jenes von The Dismemberment Plan gewiss eines der überraschenderen. Während sich Sänger Travis Morrison nach der Bandauflösung 2003 durch zwei ungeliebte Soloalben und einige szene-untypische politische Statements aus dem Everybodys-Darling-Fokus spielte, blieb die Aufmerksamkeit für Eric Axelsons Maritime eher ein wohlwollendes Schulterzucken. Gitarrist Jason Caddell verlegte sich aufs Produzenten-Dasein, und Schlagzeuger Joe Easley zog sich weitgehend ins Nine-To-Five-Leben zurück – wohin ihm Morrison zu folgen plante, wie er erst 2009 verlauten ließ. Da in Washington, DC nun aber alte Seil- und Freundschaften mehr zählen als Misserfolg oder gar politische Differenzen, gab es nie Krach zwischen den Bandmitgliedern und/oder mit diversen Langzeit-Weggefährten. Was heißt: Aufgenomen bei und mit J. Robbins (Jawbox, Burning Airlines), darauf selbstproduziert und abschließend von Shellacs Bob Weston gemastert, hätte auf "Uncanney valley" eigentlich kaum etwas schiefgehen dürfen – wenn auch The Dismemberment Plan wenigstens Normalform erreichen.

Doch eben dies klappt leider nicht durchgängig. Sagten The Dismemberment Plan Mitte der 1990er Jahre an der Speerspitze einer dritten Washington-Generation dem Postcore "Goodbye", indem sie dessen inhärenten Funk nach vorne schubsten und mit Soul und HipHop würzten, so wirkt "Uncanney valley" weniger anachronistisch als vielmehr ein wenig überkandidelt. Das liegt vor allem daran, dass Morrison und Co ihre stärkste Gravitationskraft, nämlich Axelsons und Easleys ungemein groovendes Zusammenspiel, mit viel zu viel Konfetti beschießen. Im Ergebnis ist der abgehangene Funk auch aus Morrisons Stimmbändern auf seltsame Weise verschwunden. Stattdessen klingt er auf "Uncanney valley" häufig gehetzt bis geschwätzig, was dem Herzschlag der Songs nur selten wirklich guttut.

Zugegeben: "Mitteilsam" waren Morrisons Lyrics schon immer. Doch wo er um die Jahrtausendwende zur Höchstform von "Emergency and I" sowie auf dem kongenial pop-geglätteten "Change" mit Wortschwällen gegen den Blödsinn des Alltags anredete, da beherrschen Songs wie "Daddy was a real good dancer" oder "No one's saying nothing" allerlei alltägliche Nichtigkeiten, für die man selbst dem allerbesten Freund den Coiffeur seines Vertrauens anempfehlen würde. Den Vogel aber schießt eindeutig "White collar white trash" ab, wo Morrison einfach zu ein paar Billigkeyboard-Melodien verschiedene Beischlaf-Städte aufzählt, um zum Schlussabsatz zu offenbaren, dass ja eigentlich vielleicht doch eher das Tourleben damit gemeint war. Uncleverer ist da nur noch "Waiting", bei dem es The Dismemberment Plan für eine töfte Idee halten, mit einem Willkommensgruß-Sample für die heimgekehrten US-Soldaten aus dem Irak eben jene politische Debatte wieder aufzuwärmen, für die Morrison Mitte der 00er Jahre eigentlich schon genug hinter die Löffel bekommen hat.

Doch auch hier gilt: Wenn es wenigstens wirklich gewitzt und hintergründig daherkäme, wäre gewiss alles in Butter. Doch selbst wenn diese Information lediglich ein spitzbübischer Fliegenfänger für die Pressemeute sein sollte, wirken weite Teile von "Uncanney valley" in all ihrem simplen Hookwillen recht steif, manchmal eindimensional, teils gar grund- und schamlos selbstverliebt. Deshalb hat der Hörer kaum einmal das Gefühl, selbst zu Wort kommen zu dürfen – sei es mit Kopfkino, Powackeln oder zur Not auch Schenkelklopfen. Stattdessen haben es The Dismemberment Plan tatsächlich geschafft, dieses Album viel zu voll zu spielen, dabei aber ihre Melodien viel zu einfach zu halten und rhythmisch kaum einmal Druck aufzubauen.

Folgerichtig packt "Uncanney valley" immer dann zu, wenn die Rhythmik anzieht und die Melodien eine kleine Portion Melancholie zu sich nehmen. Das ist bei "Invisible" der Fall, ebenso bei "Go and get it", obwohl sich ersteres mit einem leicht schräg in den Beat getakteten Streichersample abstrampelt und sich zweiteres mit einfachesten Mitteln gegen Coldplay-Ohos und Uptempo durchsetzen muss. Auch auf "Mexico City christmas" und "Living in song" funktionieren die Gegensätze, doch das ist auf "Uncanney valley" eben keineswegs immer der Fall. So finden Axelson und Easley ganz zum Schluss noch einmal den typischen Dismemberment-Plan-Groove, Morrison und Cadell aber kontern so lange und ausdauernd mit Eastern-Geglocke, Kinderlied-Gangshouts und Synthies aus dem Hörnerpillen-Baukasten, bis kaum etwas davon übrig bleibt. "Let's just go to the dogs tonight" heißt der Song, doch natürlich singt es Morrison als "dooonce" und ergänzt: "Cause nothing really matters." Schon klar, upliftig und gut gelaunt will das sein, tatsächlich aber ist es viel zu oft einfach nur albern. Womit gesagt werden kann: Zumindest diese Überraschung ist The Dismemberment Plan eindeutig gelungen.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights

  • Invisible
  • Living in song
  • Go and get it

Tracklist

  1. No one's saying nothing
  2. Waiting
  3. Invisible
  4. White collar white trash
  5. Living in song
  6. Lookin'
  7. Daddy was a real good dancer
  8. Mexico City christmas
  9. Go and get it
  10. Let's just go to the dogs tonight

Gesamtspielzeit: 37:49 min.

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