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Chelsea Wolfe - Pain is beauty

Chelsea Wolfe- Pain is beauty

Sargent House / Cargo
VÖ: 06.09.2013

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Entweder - oder

Die Welt könnte ein so viel schönerer Ort sein, wäre "Hipsterhausen" größer. Was bekommen wir stattdessen? In Flames-Shirts aus dem EMP, kurze Hosen in Dreiviertel (mit Cargotaschen!), Pferdeschwänze, Steven Wilsons Brillengestell und Gitarrensoli von Amon Amarth. Der Metal hat den Punk längst als die hässlichste Subkultur abgelöst. Und dann immer drauf auf die Schuldigen, die Schönen am Puls der Zeit, in einem Wort: draufhauen auf "den Hipster". Im Kern geht es bei den ganzen lächerlich uncoolen Schelten um den Unterschied zwischen existenziellem Ernst und Ironie. Die Traditionalisten fürchten den Hipster, weil dieser einen Scheiß gibt auf die Klassiker mit ihren bleischweren, bedeutungsschwangeren Jahrzehntwerken. Hinter der Ironie verschanzt dieser sich bloß, angeblich, er mag Neues im Wochentakt und doch: wo er ist, ist vorn. Das erklärt auch, warum der Hipstervorwurf permanent aufkommt in den erzkonservativen und so sehr um Credibility und Trueness bemühten Sparten Rap (Casper) und Metal (Deafheaven) – und selten bis nie im Pop oder Indierock. Mehr noch, die schrecklich humorlosen Antihipster vermuten in der Ironie, im Stil, in aller schnieken Oberfläche die Schwundstufe des sozialen Zusammenhalts, nichts ist mehr echt, nichts ist mehr ehrlich, bloß noch schöner Schein. Und hässlich geht die Welt zu Grunde.

Nun, es genügte eigentlich schon etwas ästhetischer Ehrgeiz und minimaler intellektueller Experimentiergeist, um gegen eine solche traditionalistische Verhärtung aufzubegehren. Ironischerweise geht denn auch die oben aufgestellte Gleichung im Falle von Deafheaven, Liturgy oder auch von der Seelenverwandten Chelsea Wolfe, die seit 2010 drei todessehnsüchtige Alben mit ihrer Version von Drone, Folk und Metaldistortion veröffentlicht hat, nicht auf: Im Gegensatz zu den beispielsweise ziemlich affigen Kutten von Sunn O))) oder der unfreiwilligen Komik bei der Corpse-Paint-Metalfraktion, haben die Genannten den metallischen Extremismus gerade radikalisiert und – das ist womöglich das Hauptproblem – intellektualisiert. Statt der steten Flucht in vereiste Märchenwelten, wie sie eine Band wie Immortal propagiert, steckt Chelsea Wolfes dunkle Selbstentblößung "Pain is beauty" knietief im diesseitigen Morast. Wem das nicht auf die Knochen geht, soll weiter "Der Herr der Ringe" lesen.

Wolfe, so kann man das verstehen, bringt der Metallerfraktion ihren Sartre bei und singt über die Zumutungen, die es bedeutet, in diese Welt geworfen zu sein. Und, sehr ähnlich der Umwertung der Werte bei Liturgy, arbeitet sie darauf hin, den Untergang, die Vergänglichkeit in die Arme zu schließen, anstatt sich – vergeblich – über sie erheben zu wollen. Darin liegt durchaus einige, unvermutete Fröhlichkeit. "Pain is beauty" lebt eine neue Vielseitigkeit, aus dem monochrom Schwarzen lugen neue Akzente hervor: Dancebeats, die Wolfes Folk für die Tanzfläche aufbrezeln ("The warden"), ein heiterer Groove für die Apokalypse ("Destruction makes the world burn brighter") und ein paar ausgeschlagene Zähne, die "We hit a wall" auf die polierten Vangelis-Synthieflächen von "Sick" spuckt. Auch über dem TripHop von "House of metal" besteht die unaufgeregt anziehende Stimme von Wolfe gegen die naheliegenden Gedankenspiele, wie viel Beth Gibbons einem solchen Song wohl zu geben vermag. Der Höhepunkt von "Pain is beauty" ist der Eröffnungstrack "Feral love", der über heranrollenden Drums ein Unbehagen zum Greifen transportiert. Zum nächsten Schritt, zum Meisterwerk, fehlen dem Album allerdings weitere Hits, die es mit den Großtaten wie "Boyfriend" oder "Demons" von den Vorgängern aufnehmen können. Und so offen Wolfe auch mit Doom und Black Metal flirtet, manchmal böte sich ein Ausbruch, ein heftiges Riff an, das die morbide Romantik auch musikalisch mal vor die Wand laufen ließe – und ernst machte.

(Nicklas Baschek)

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Highlights

  • Feral love
  • House of metal
  • Destruction makes the world burn brighter

Tracklist

  1. Feral love
  2. We hit a wall
  3. House of metal
  4. The warden
  5. Destruction makes the world burn brighter
  6. Sick
  7. Kings
  8. Reins
  9. Ancestors, the ancients
  10. They'll clap when you're gone
  11. The waves have come
  12. Lone

Gesamtspielzeit: 54:53 min.

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User Beitrag

Mann 50 Wampe

Postings: 3322

Registriert seit 28.08.2019

2020-11-10 18:45:34 Uhr
"Reins" ist auch unfassbar gut.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10819

Registriert seit 23.07.2014

2020-11-10 18:00:07 Uhr
"House of metal" ist wirklich der Hammer, aber auch das ganze Album ist wirklich toll. Ich stehe total auf diese düstere, schwere Stimmung in Verbund mit dem Pop. Die beiden Nachfolger sind definitiv härter, aber atmosphärisch kann das Album hier locker mithalten.

Corristo

Postings: 1068

Registriert seit 22.09.2016

2020-10-26 21:17:30 Uhr
Ich lass mich gern eines Besseten brlehren, aber für mich ist "House of Metal" eher ein depressiver Popsong..

War vielleicht etwas überspitzt formuliert von mir. So wie es dargeboten wird, ist es natürlich schon Pop oder Gothic Pop oder wie auch immer man es nennen mag. Doch bei mir hat die Melodie des Songs immer Assoziationen an Black Metal bzw. Ambient Black Metal geweckt. Dort wird sowas auch gerne mal gemacht, sich so eine einfache, düstere Melodie rauszupicken und sie dann ständig zu wiederholen. Nennen wir es einfach mal ein mögliches Stilmittel von Ambient Black Metal.

Interessant finde ich jedenfalls, dass dir Apokalypsis anscheinend gefällt, während dir Abyss und Hiss Spun zu hart sind. Aber mag sein, dass bei den beiden letzteren das Gesamtpaket vielleicht noch etwas härter und erbarmungsloser ist, während Apokalypsis noch etwas indiemäßiger wirkt. Außerdem war sie bei Apokalypsis viel maßgeblicher an der Gitarrenarbeit beteiligt. Vielleicht wirkt es einfach charmanter, wenn sie selbst so ein düsteres Riff spielt. :)

Aber wie u.x.o. schon meinte, "Birth Of Violence" könnte dir wiederum gefallen. Da ist sie wieder voll und ganz die akustische Songwriterin.

Charlie Brown

Postings: 151

Registriert seit 24.10.2020

2020-10-25 21:26:17 Uhr
Ich lass mich gern eines Besseten brlehren, aber für mich ist "House of Metal" eher ein depressiver Popsong..Aber ich liebe ihn..Mit den ersten Alben komm ich gut klar, gibt viele Höhepunkte, zb. dieses von mir schon mal angesprochene "Moses". Aber allgemein gespeochen: ich bin selbst schon kaputt genug um mir noxh freiwilig das ganze Unheil der Welt anzutun. Hör lieber Marsica "Si te perdo":)

Corristo

Postings: 1068

Registriert seit 22.09.2016

2020-10-24 22:23:57 Uhr
"House Of Metal" ist schon wirklich ein ganz wunderbarer Song, neben "They'll Clap When You're Gone". Wobei natürlich das ganze Album großartig ist. Und wenn man eher auf ihre weniger harte Seite steht, wäre es auch ein guter Einstieg in ihr Werk.

Was ihre härtere Seite angeht, gefällt mir das rohere "Apokalypsis" wohl noch einen Tick besser als "Abyss" oder "Hiss Spun". Obwohl viele wahrscheinlich in dieser Hinsicht da "Hiss Spun" als ihr Meisterwerk sehen werden.

Die Frau hat also mindestens zwei musikalische Seiten an sich. Wobei auch von den akustischeren oder indiemäßigeren Sachen schon mal einige Doom- und Gothic-Vibes ausgehen. Bzw. das erwähnte "House Of Metal" ist irgendwie verkappter Black Metal mit Keyboard und Streichern.
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